EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat scharfe Kritik an führenden britischen Brexit-Befürwortern geäussert. «Die strahlenden Brexit-Helden von gestern sind nun die traurigen Helden von heute», sagte er vor dem EU-Parlament in Strassburg.
Die Kommission warte jetzt auf die offizielle Bekanntgabe des britischen Austrittsbegehrens, die lasse aber auf sich warten. «Ich dachte, das Brexit-Lager habe einen Plan», sagte Juncker am Dienstag. Stattdessen verliessen dessen Anführer nun das «sinkende Schiff».
Der Präsident der EU-Kommission spielte damit auf den ehemaligen Londoner Bürgermeister Boris Johnson und den Chef der europafeindlichen Partei Ukip, Nigel Farage, an. Beide hatten sich für einen Austritt Grossbritanniens aus der EU stark gemacht.
Nach dem Ja zum Brexit bei der Volksabstimmung gab Johnson überraschend seinen Verzicht auf eine Kandidatur für die Nachfolge des scheidenden Premierministers David Cameron bekannt. Farage kündigte am Montag seinen Rücktritt als Ukip-Chef an, will aber nach eigenen Angaben weiter Mitglied des Europaparlaments bleiben.
Auch der EU-Ratsvorsitzende Donald Tusk forderte London auf, nun ein «geordnetes Austrittsverfahren» einzuleiten. Zugleich bekräftigte er, dass Grossbritannien die grundlegenden Freizügigkeiten garantieren müsse, wenn es weiterhin Zugang zum EU-Binnenmarkt haben will.
Kein Wunschkonzert
«Einen Binnenmarkt à la carte wird es nicht geben», sagte Tusk. Zu den Freizügigkeiten gehört das Recht von europäischen Arbeitnehmern, in anderen EU-Staaten zu arbeiten. Dieses Recht wollen die britischen Befürworter des EU-Austritts jedoch einschränken.
Zum weiteren Kurs der EU sagte Tusk, es sei noch zu früh, um endgültige Schlüsse aus dem Brexit-Referendum zu ziehen. Klar sei aber, dass die Bürger unzufrieden seien – sei es auf nationaler oder auf europäischer Ebene.
Nicht weiter wie bisher
Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sprach sich aber gegen eine engere politische Integration der EU aus. «Das wäre eine Verleugnung der Gefühle vieler Europäer, für die die EU etwas weit Entferntes geworden ist», sagte Rutte in Strassburg.
Das schlechteste, was Brüssel und die Mitgliedstaaten jetzt machen könnten, wäre so weiterzumachen wie bisher. Die Entscheidung der Briten für einen Austritt aus der EU sei ein Signal und «sicherlich nicht das einzige Signal, dass es eine Veränderung braucht», sagte Rutte. Er plädierte dabei für mehr konkrete Ergebnisse mit Blick auf den Wohlstand der Menschen, Arbeit und Sicherheit.