Meister Juventus Turin mit dem Schweizer Stephan Lichtsteiner geht als grosser Favorit in die heute startende Serie-A-Saison. Zum ersten Verfolger könnte Inter Mailand avancieren.
Ginge es nach der öffentlichen Meinung, müsste der Scudetto 2016/17 gar nicht erst ausgespielt werden. Allen ist klar: Juventus Turin holt den sechsten Titel in Serie und stellt damit einen Rekord auf. Die Quote für einen erneuten Turiner Triumph hat bei Snai, dem grössten italienischen Wettanbieter, ein historisches Tief von 1,4 erreicht, und auch der italienische Erfolgscoach Fabio Capello schloss sich der öffentlichen Meinung an: «Der Titel ist für Juventus reserviert. Es wird kein Meisterrennen geben.»
In diesem Sommer hat Juventus bisher nahezu 150 Millionen Euro in neues Personal investiert. Das Saisonziel ist nicht mehr der Scudetto, diesmal will man die Champions League gewinnen. Ob dies gelingt, ist mehr als zweifelhaft. Die Turiner haben in den letzten zwei Jahren Spieler wie Andrea Pirlo, Carlos Tevez, Arturo Vidal, Alvaro Morata oder zuletzt Paul Pogba verloren. Das Team mit dem Schweizer Stephan Lichtsteiner scheint deshalb trotz der Zuzüge von Gonzalo Higuain, Miralem Pjanic, Dani Alves und Marko Pjaca für internationale Aufgaben nicht besser gerüstet zu sein als in den letzten zwei Jahren.
Eher vermittelt die bisherige Transfertätigkeit das Bild, dass Juventus in erster Linie die nationale Konkurrenz geschwächt hat, indem man den zuletzt grössten Herausfordern Napoli und AS Roma mit Higuain beziehungsweise Pjanic die besten Spieler abgekauft hat. Die Euphorie über die teuren Transfers ist bei den Tifosi in den letzten Tagen einer gewissen Ernüchterung gewichen. Weil Claudio Marchisio bis im Dezember ausfällt, Sami Khedira immer wieder Muskelverletzungen plagen und Pogba für eine Rekordsumme zu Manchester United gezogen ist, kommt das Mittelfeld für die hochfliegenden Champions-League-Ziele derzeit noch etwas gar leichtgewichtig daher.
Während die Titelfrage trotzdem geklärt scheint, wird heiss darüber debattiert, wer denn ein möglicher Herausforderer der Turiner sein könnte. In Rom sehen sie die AS Roma gerüstet für diese Rolle, auch wenn der Stratege und Freistossspezialist Pjanic nicht mehr dabei ist. Die Römer Mannschaft blieb sonst nahezu unverändert. Sie hat in der Rückrunde der letzten Saison unter dem neuen Trainer Luciano Spalletti mit 14 Siegen in 19 Spielen bewiesen, dass sie mehr sein kann als nur ein solider Dritter.
Derweil sehen sich die Neapolitaner trotz Verkauf von Torschützenkönig Gonzalo Higuain weiterhin als Nummer 2 des Landes. Die Süditaliener haben in der Vorbereitung einen hervorragenden Eindruck hinterlassen und mit dem polnischen Ajax-Stürmer Arkadiusz Milik einen smarten Transfer getätigt. Weil Napoli für Higuain rund 90 Millionen Euro erhielt, wird es sich ausserdem in den nächsten Tagen bestimmt noch weiter verstärken.
Roma hin, Napoli her: Nicht wenige sind überzeugt, dass Inter Mailand das Potenzial hat, erstmals seit sechs Jahren mindestens unter die ersten drei zu kommen. Zwar hat Inter eine etwas chaotische Vorbereitung hinter sich, doch mit dem vor knapp zwei Wochen installierten neuen Trainer Frank de Boer sowie neuen Spielern wie Ever Banega (vom FC Sevilla) oder Antonio Candreva (Lazio Rom) scheinen die Mailänder ziemlich gut und ausgewogen aufgestellt.
Juventus Turin wird also Meister, dahinter versuchen mit Napoli, Roma und Inter die üblichen Verdächtigen den Abstand nicht zu gross werden zu lassen. Alles wie gehabt also im italienischen Fussball? Nicht ganz! Dann dass in der gleichen Sommerpause die beiden Mailänder Grossklubs Inter und Milan an chinesische Investoren verkauft wurden (im Falle von Milan sind vorerst nur erste Anzahlungen getätigt, der Abschluss ist für November geplant), kann durchaus als epochal bezeichnet werden. Nach der Römer Familie Sensi, welche die AS Roma vor fünf Jahren an US-amerikanische Investoren verkauft hat, ziehen sich nun auch die einflussreichen Mailänder Familien-Clans Moratti und Berlusconi aus dem Calcio zurück und machen Platz für Spekulanten-Combos aus dem Fernen Osten.
Diese Entwicklung ist nur bedingt mit der maroden italienischen Wirtschaft zu erklären, wie es die Morattis und Berlusconis gerne tun. In Turin ist Juventus nach wie vor in den Händen der einheimischen Familie Agnelli und durchlebt trotzdem seit Jahren eine Wachstumsphase. Juventus verdoppelte seinen Umsatz zwischen 2010 und 2015 von 153 auf 323 Millionen Euro, während bei den Mailändern wegen Fehlplanungen die Zahlen zusammengebrochen sind.
Bei Inter ging der Umsatz seit 2010 um 23 Prozent zurück. Bei Milan stürzte er allein in den letzten drei Jahren von 263 auf 199 Millionen Euro ab. Nicht zuletzt deshalb steht Juventus in der Serie A auch sportlich fast ohne Konkurrenz da. Oder wie es Capello eben formulierte: «Es gibt kein Meisterrennen.»