Für ein Ja zur Atomausstiegsinitiative der Grünen machen sich auch Vertreter der Wirtschaft und bürgerlicher Parteien stark. Sie stellen sich damit gegen die grossen Wirtschaftsverbände.
«Es ist ein Kampf zwischen der Wirtschaft der Vergangenheit und der Wirtschaft der Zukunft», sagte der ehemalige Waadtländer FDP-Nationalrat Yves Christen am Freitag vor den Medien in Bern. Die Zukunft aber habe bereits begonnen.
Aus Sicht der Gegner würde die Annahme der Initiative die sichere Stromversorgung gefährden. Die Befürworter sehen das anders: Eine dezentrale Energieversorgung sei grundsätzlich wesentlich sicherer als eine zentrale, halten sie fest.
Für ihn als Elektrofachmann und Unternehmer habe die Versorgungssicherheit Priorität, versicherte der Berner GLP-Nationalrat Jürg Grossen. Deshalb habe er sich informiert, auch bei der Netzgesellschaft Swissgrid. Diese habe ihm versichert, dass die Versorgung bei einer Annahme der Initiative jederzeit gewährleistet sei. Dass der Bundesrat im Abstimmungskampf dennoch von einem möglichen Blackout spreche, sei reisserisch und äusserst bedauerlich.
Möglich dank Wasserkraft
Wird die Initiative angenommen, müssen Beznau I und II sowie Mühleberg bereits 2017 abgeschaltet werden. Gösgen ginge 2024 vom Netz, Leibstadt 2029. Dank der Wasserkraft wäre die Versorgungssicherheit auch unmittelbar nach Abschaltung der drei ersten AKW gewährleistet, sagen die Befürworter.
Die Schweizer Wasserkraft, die heute unter der Stromschwemme auf dem europäischen Strommarkt leide, würde gestärkt. Das zeigten die aktuell höheren Strompreise im Zusammenhang mit den Atomkraftwerken in Frankreich und in der Schweiz, die sich in Revision befänden oder wegen Sicherheitsmängeln nicht produzieren dürften.
AKW-Strom bereits ersetzt
Zudem seien die beiden AKW Beznau und Mühleberg bereits durch neue erneuerbare Energien ersetzt, sagte Thomas Nordmann, Geschäftsführer von TNC Consulting. Einerseits durch Anlagen in der Schweiz, andererseits durch schweizerische Investitionen in erneuerbare Energien in Europa. Damit würden heute schon 10 Terawattstunden im Jahr erreicht, während Mühleberg 3 Terawattstunden produziere.
Das Argument der Gegner, dass bei einem Ja zur Initiative mehr «Dreckstrom» importiert werden müsste, hält laut den Befürwortern einem Fakten-Check ebenfalls nicht stand. Bereits heute würden grosse Mengen an Strom importiert und exportiert, betonen sie – und zwar nicht wegen der Landesversorgung, sondern aus unternehmerischen Gründen.
Fragwürdiges Dogma
Letztes Jahr importierte die Schweiz fast 13 Terawattstunden Strom aus Deutschland und exportierte gleichzeitig mehr als 26 Terawattstunden nach Italien. Die Befürworter geben auch zu bedenken, dass in Deutschland bereits 30 Prozent der Produktion aus neuen erneuerbaren Energien stamme, mit steigender Tendenz.
Weiter weist das Wirtschaftskomitee auf die grosse Auslandabhängigkeit bei den fossilen Energien hin, über die man lieber nicht spreche. Gleichzeitig werde beim Strom eine 100-prozentige Unabhängigkeit gefordert. Das sei ein fragwürdiges Dogma.
Stromeffizienz steigern
Mittelfristig setzen die Befürworter indes nicht auf Importe, sondern auf mehr Stromeffizienz und den Ausbau der erneuerbaren Energien. Mit dem Ausstiegsplan bis 2029 habe die Schweiz genügend Zeit, argumentieren sie. Das Effizienzpotenzial sei riesig. Heute werde in der Schweiz rund die Hälfte des hergestellten Stromes ungenutzt verschwendet. Die Technik sei verfügbar, ausgereift und erschwinglich.
Der Ingenieur Hans Ruedi Schweizer erläuterte das am Beispiel seines Metallbauunternehmens: In den letzten 37 Jahren seien der Umsatz und die Arbeitsplätze verdoppelt worden, bei stabilem Energieverbrauch. Schweizer nannte auch das Beispiel eines kürzlich eingeweihten Mehrfamilienhauses, das gänzlich ohne Energieanschlüsse auskommt.
Innovation statt Risiken
Die Risiken und Kosten der Kernenergie seien über die ganze Lebensdauer betrachtet zu hoch, sagte Schweizer. «Diese Risiken sollen und müssen wir nicht eingehen, da heute Alternativen vorhanden sind.»
Der Ausstieg nach dem Plan der Initiative wäre aus Sicht des Wirtschaftskomitees aber noch aus einem anderen Grund sinnvoll: Er würde verlässliche Rahmenbedingungen bringen. Nur die Gewissheit schaffe genügend Planungs- und Investitionssicherheit, argumentieren sie. «Sobald klare Rahmenbedingungen da sind, wird investiert», sagte Grossen. Bei einem Ja am 27. November entstünden auch neue Arbeitsplätze.