Kaum Chancen auf Schmerzensgeld im Brustimplantate-Skandal

Im Skandal um minderwertige Brustimplantate hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg die Prüfpflichten von Zertifizierungsstellen präzisiert. Nach dem Urteil können Frauen kaum noch auf Schmerzensgeld von der deutschen Zertifizierungsstelle TÜV Rheinland hoffen.

Zehntausenden Frauen wurden PIP-Brustimplantate eingesetzt, die mit Industriesilikon gefüllt waren. Die Betroffenen haben nach dem EuGH-Urteil jedoch kaum Chancen auf den Erhalt von Schmerzensgeld. (Archiv) (Bild: sda)

Im Skandal um minderwertige Brustimplantate hat der Europäische Gerichtshof in Luxemburg die Prüfpflichten von Zertifizierungsstellen präzisiert. Nach dem Urteil können Frauen kaum noch auf Schmerzensgeld von der deutschen Zertifizierungsstelle TÜV Rheinland hoffen.

Der am Donnerstag veröffentlichten Entscheidung zufolge sind die Organisationen zwar nicht verpflichtet, unangemeldete Inspektionen durchzuführen und Produkte zu prüfen. Bei Hinweisen auf Produktmängel müssten sie aber «alle erforderlichen Massnahmen ergreifen», um ihren Verpflichtungen zur Qualitätssicherung nachzukommen, hiess es im Urteil. (Az. C-219/15)

Ausgangspunkt der Verfahrens ist der Betrug des mittlerweile insolventen französischen Brustimplantateherstellers Poly Implant Prothèse (PIP). Er befüllte seine Brustimplantate statt mit Spezialsilikon mit billigerem Industriesilikon, das zu Schäden an den Kissen führte.

Weltweit liessen sich zehntausende Frauen die Implantate einsetzen. Französische Behörden stoppten 2010 den Vertrieb, weil sich Berichte über geplatzte oder undichte Silikonkissen häuften.

Zeitpunkt entscheidend

Die deutsche Klägerin im aktuellen Verfahren liess sich 2008 die Implantate einsetzen und nach den Warnungen der Behörden 2010 wieder entfernen. Sie fordert vom TÜV Rheinland, der das PIP-Qualitätssicherungssystem zertifizierte, Schmerzensgeld in Höhe von 40’000 Euro und macht geltend, der TÜV hätte durch Einsicht in Lieferscheine und Rechnungen erkennen können, dass der Hersteller nicht das genehmigte Silikon verwendete. Der Bundesgerichtshof (BGH) legte daraufhin den Fall wegen europarechtlicher Fragen dem EuGH vor.

Dem Luxemburger Urteil zufolge ist eine Prüfungsstelle zu solch einer Kontrolle erst verpflichtet, wenn sie Hinweise hat, dass der Hersteller Qualitätsstandards nicht einhält. Ob die deutsche Klägerin damit Anspruch auf Entschädigung hat, hängt laut Luxemburg davon ab, ab wann der TÜV Rheinland von den Pflichtverletzungen des Herstellers wusste.

Der TÜV hatte dazu erklärt, er sei von PIP ebenso wie die französischen Überwachungsbehörden jahrelang systematisch betrogen worden. Nach Bekanntwerden des Betrugs Ende März 2010 habe der TÜV die Zertifikate für PIP ausgesetzt und auch selbst Strafanzeige gegen PIP gestellt.

Der TÜV begrüsste nun das EuGH-Urteil und sieht sich in seiner Rechtsauffassung «in entscheidenden Punkten bestätigt». Das Unternehmen sei deshalb zuversichtlich, dass der BGH und Gerichte in Frankreich nun zum Schluss kommen, dass der TÜV seine Aufgaben «im Einklang mit allen Gesetzen wahrgenommen» habe, erklärte ein Sprecher am Donnerstag.

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