Kiew hat Kontrolle über Teile des Landes verloren

Der Osten der Ukraine kommt nicht zur Ruhe. Am Donnerstag stürmten rund 300 prorussische Demonstranten das Gebäude der Regionalstaatsanwaltschaft Donezk.

Pro-russische Kräfte greifen Polizisten in Donezk an (Bild: sda)

Der Osten der Ukraine kommt nicht zur Ruhe. Am Donnerstag stürmten rund 300 prorussische Demonstranten das Gebäude der Regionalstaatsanwaltschaft Donezk.

Die Angreifer warfen Steine auf rund einhundert Bereitschaftspolizisten, die das Gebäude bewachten. Die Sicherheitskräfte setzten darauf Tränengas und Blendgranaten ein. Mehrere Polizisten wurden entwaffnet und geschlagen. Die Menge beschimpfte die Beamten in Sprechchören als «Faschisten».

Mindestens vier Polizisten wurden verletzt, wie ein Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Anschliessend zwangen die zum Teil maskierten Angreifer die ukrainischen Sicherheitskräfte zum Abzug, wie die Agentur Interfax meldete. Auf dem Dach hissten sie die Fahne der selbst ernannten Volksrepublik.

Kontrolle über Osten verloren

Die Millionenmetropole Donezk in der Schwerindustrie- und Kohleregion Donbass ist die Hauptstadt dieser «Republik Donezk». Das Gebäude der Regionalverwaltung wurde am 6. April besetzt, das Rathaus zehn Tage später.

Unbehelligt von Sicherheitskräften hatten Separatisten zuvor auch die Gebietsverwaltung der Stadt Lugansk eingenommen. Auch in Gorlowka besetzten prorussische Demonstranten weitere Verwaltungsgebäude. Übergangspräsident Alexander Turtschinow räumte am Mittwoch ein, die Kontrolle über Teile des Landes verloren zu haben.

Merkel telefoniert mit Putin

Diese Hilflosigkeit der ukrainischen Regierung zeigt sich auch im Fall der festgesetzten OSZE-Militärbeobachter in Slawjansk. Deshalb bat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag den russischen Präsidenten Wladimir Putin um Hilfe.

Die Kanzlerin habe Putin in einem Telefongespräch «an die Verantwortung Russlands als OSZE-Mitgliedstaat» erinnert und an den Präsidenten appelliert, «seinen Einfluss geltend zu machen», teilte eine deutsche Regierungssprecherin mit.

Prorussische Milizen halten seit Freitag vergangener Woche sieben Militärbeobachter aus Ländern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) fest. Unter ihnen sind vier Deutsche.

Putin hatte am Dienstag im Fernsehen gesagt, er hoffe auf ihre baldige Freilassung. Diese verzögerte sich nach Angaben des Milizenführers Wjatscheslaw Ponomarjow aber «aus technischen Gründen».

Rolle der OSZE stärken

Putin wie Merkel hätten zudem bei ihrem Telefongespräch die Notwendigkeit betont, «das Vermittlungspotenzial der OSZE in der Ukraine im höchstmöglichen Mass einzusetzen».

Putin sagte nach Angaben des Kreml, dass es im Ukraine-Konflikt nun am wichtigsten sei, die «Militäreinheiten» aus dem Südosten der Ukraine abzuziehen, die Gewalt zu stoppen und einen «breiten natonalen Dialog als Teil einer Verfassungsreform» aufzunehmen, an dem «alle Regionen und politischen Kräfte» beteiligt seien.

Gefangenen-Austausch

Die Aktivisten in Slawjansk tauschten inzwischen nach eigenen Angaben zwei gefangene Mitglieder des ukrainischen Geheimdienstes SBU gegen Gesinnungsgenossen aus. Die Verhandlungen mit der Regierung seien erfolgreich gewesen, zitierte Interfax einen Sprecher.

Die Ukraine wies indes den Marineattaché der russischen Botschaft in Kiew wegen Spionage aus. Der Diplomat sei vom Geheimdienst SBU auf frischer Tat ertappt und festgenommen worden, teilte das Aussenministerium in Kiew mit.

Ukraine führt Wehrpflicht wieder ein

Wegen der unruhigen Lage in der Ostukraine hat die prowestliche Regierung in Kiew die Wehrpflicht wieder eingeführt. Interimspräsident Alexander Turtschinow unterzeichnete am Donnerstag einen Erlass, um der «Gefahr für die territorialen Einheit und der Einmischung in innere Angelegenheiten der Ukraine» zu begegnen. Demnach müssen Männer im Alter von 18 bis 25 Jahren wieder ihren Wehrdienst leisten.

Die Pflicht war erst vor einem halben Jahr abgeschafft worden. Der Erlass berücksichtige die Verschlechterung der Lage in der Süd- und Ostukraine sowie die «nackte Aggression» prorussischer Milizen, hiess es

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