Heute werden nur Verkehrssünder und Kiffer mit Ordnungsbussen von bis zu 300 Franken bestraft, formlos und ohne Verfahren. Bei allen anderen Delikten eröffnen die Behörden ein Strafverfahren. Das soll sich jetzt ändern.
Nach dem Ständerat hat am Donnerstag auch der Nationalrat einer Ausweitung des Ordnungsbussenverfahrens zugestimmt. Dieses kommt bei leicht feststellbaren Bagatelldelikten zur Anwendung. Die beschuldigte Person kann die Strafe an Ort und Stelle oder innerhalb einer Frist zahlen. Anders als im ordentlichen Strafverfahren werden Vorleben und persönliche Verhältnisse nicht berücksichtigt, es gibt auch keine Verfahrenskosten.
Weil das günstig und effizient ist, beschloss das Parlament 2011, mehr Delikte auf diesem Weg zu ahnden. Der Bundesrat arbeitete daraufhin eine Vorlage aus, in der er vorschlug, das Ordnungsbussenverfahren bei 17 Gesetzen anzuwenden. Darunter sind das Ausländergesetz, das Asylgesetz, das Waffengesetz, das Alkoholgesetz, das Umweltschutzgesetz, das Fischereigesetz, das Lebensmittelgesetz oder das Jagdgesetz.
Diskussion über Cannabis
Welche Verstösse genau mit Ordnungsbussen bestraft werden, würde der Bundesrat festlegen. In der Botschaft hatte er zahlreiche Beispiele genannt, etwa das Sammeln geschützter Pflanzen, das Fangen von zu kleinen Fischen, zu schnelles Fahren mit Motorbooten in der Uferzone oder die Missachtung der Leinenpflicht für Hunde im Wald.
Der Konsum von Cannabis, der schon heute mit einer Ordnungsbusse geahndet wird, will der Bundesrat weiterhin im Ordnungsbussenverfahren regeln. Darum steht auch das Betäubungsmittelgesetz im Entwurf für ein Ordnungsbussengesetz. Daran störte sich aber die SVP.
Es gebe dabei viele Ungereimtheiten, sagte Andrea Geissbühler (BE). Die Kantone stellten unterschiedlich viele Bussen wegen Cannabiskonsums aus. Auch würden im Strassenverkehr weniger Kontrollen wegen Cannabis als wegen Alkohol durchgeführt, weil die Bussen nicht registriert seien. Die Mehrheit entschied aber mit 123 zu 51 Stimmen, Kiffer weiterhin mit Ordnungsbussen zu bestrafen.
SVP: Zynisch und willkürlich
Ein Teil der SVP hätte schon gar nicht auf die Vorlage eintreten wollen. Laut Yves Nidegger (GE) sind Ordnungsbussen in Tat und Wahrheit Steuern. Die Einnahmen würden von den Kantonen sogar budgetiert, diese hätten also ein Interesse daran, dass es möglichst viele Gesetzesübertretungen gebe. Das sei zynisch, sagte Nidegger.
Pirmin Schwander (SVP/SZ) störte sich am Deliktkatalog. Beispielsweise stehe das Waldgesetz darauf, nicht aber der Tierschutz. Das sei reine Willkür. Die übrigen Fraktionen teilten diese Bedenken nicht. Für sie stand die Vereinfachung des Verfahrens im Vordergrund. Der Antrag auf Nichteintreten scheiterte mit 170 zu 19 Stimmen.
Inhaltlich folgte der Nationalrat weitgehend den Vorschlägen des Bundesrats. Auf Vorschlag seiner Rechtskommission machte der Nationalrat lediglich zwei Präzisierungen. In der Gesamtabstimmung nahm die grosse Kammer das Gesetz mit 167 zu 8 Stimmen bei 4 Enthaltungen an. Dieses geht mit geringfügigen Differenzen noch einmal zurück an den Nationalrat.
Offene Fragen
Mit einer Motion wollte der Ständerat darüber hinaus erreichen, dass auch Sicherheitsorgane von Transportunternehmen wie die SBB Ordnungsbussen ausstellen können. Justizministerin Simonetta Sommaruga warnte damals vergeblich vor Ungereimtheiten, weil die für Ordnungsbussen geeigneten Übertretungen gegen das Personenbeförderungsgesetz Antragsdelikte sind. Ordnungsbussen können jedoch nur für Offizialdelikte ausgesprochen werden.
Der Nationalrat nahm die Bedenken der Bundesrätin ernster. Er lehnte die Motion stillschweigend ab. Er beauftragte den Bundesrat jedoch, sich in einem Bericht vertieft mit der Frage zu befassen.