Killing them softly

Der neue Film mit Brad Pitt schafft Raum zum Wegschauen. Und das ist durchaus positiv gemeint.  Der Film fängt an, als hätte jemand aus Versehen zwei Filme gleichzeitig gestartet: Einen, der vom amerikanischen Traum spricht, und einen zweiten, der seine Kehrseite zeigt – den amerikanischen Niedergang. Was erst wie ein technischer Defekt wirkt, ist gleichzeitig […]

Der neue Film mit Brad Pitt schafft Raum zum Wegschauen. Und das ist durchaus positiv gemeint. 

Der Film fängt an, als hätte jemand aus Versehen zwei Filme gleichzeitig gestartet: Einen, der vom amerikanischen Traum spricht, und einen zweiten, der seine Kehrseite zeigt – den amerikanischen Niedergang. Was erst wie ein technischer Defekt wirkt, ist gleichzeitig Form und Programm des Films. Während ganz oben die Spitzen der Macht die Verhältnisse belobigen, zerbricht unten am Fundament der amerikanische Traum.

Es geschah in der Tat, während der zukünftige Präsident der Vereinigten Staaten, Barak Obama, auf den Bildschirmen versprach, dass Versprechen ab sofort wieder gehalten werden, als Tausende von Zockern der Lehman Brothers Bank keine Abnehmer mehr fanden für ihre faulen Kredite und ein Billionenloch im amerikanischen Haushalt hinterliessen. Das war nicht die feine Art. Der Zahlungsverkehr kollabierte. Das Finanzsystem stand weltweit still. Es war zu gefährlich, Geld auszuleihen.

Dieweil die illegalen Pokerspieler in einem Hinterzimmer in New Orleans kaum Notiz nehmen von den Versprechungen ihres künftigen Staatschefs, werden sie von einem Überfall eiskalt erwischt: Zwei bewaffnete Jungs nehmen die Spielerrunde aus. Auch nicht die feine Art. Ab sofort stehen die Pokerrunden still. Es war zu gefährlich, Geld auszuleihen.

Andrew Dominik zeigt in «Killing them softly» einen Berufskiller, der sich nun der Sache annimmt. Die Sache ist die Pokerrunde. Nicht die Bankerrunde. Aber auch dort muss irgend jemand bezahlen, damit wieder weitergepokert werden kann. Damit das Geld wieder fleisst.

Brad Pitt gibt den stahlkalten Killer, der die Dinge wieder ins Lot rücken soll. Wären da nicht die raffiniert eingestreuten Tonkommentare von den Bildschirmen über die amerikanischen Präsidentschaftswahlen, «Killing them softly» wäre tatsächlich einer von den vielen knallharten Main-Stream-Mileu-Filmen, die Amerikas Kino mit steigender Brutalität produziert – als Antwort auf den rasant steigenden Handfeuerwaffenverkauf der letzten fünf Jahre.

«Killing them softly» erzählt uns allerdings die Hinrichtungen mit aller cineastischer Raffinesse. Das macht die Brutalität nicht weniger abstossend. Aber das schafft Raum zum Wegschauen oder – Nachdenken: Während der Weg der Kugel in Superzeitlupe mehrfach vergrössert wird, und Jumpcuts deren Wirkung vervielfachen, verzögern und verdeutlichen, verwandeln sich vor unseren Augen die hingerichteten Bösewichte in geschundene Menschen. «Killing them softly» wäre als reiner Genre-Film fast zu einfach, würde uns nicht die Tonspur und die raffiniert verschnittenen Hörteile der laufenden öffentlichen Debatte über das Finanzsystem ganz andere Sichtweisen auf die Pokerrunden in den Hinterzimmern 2008 öffnen. Die brutal schuldvollen Abrechnungen unter Ganoven werden den brutal überschuldeten Abrechnungen unter Bankern gegenübergestellt.

Je länger der Film über das Töten dauert, desto sichtbarer tritt jenes Bild in den Vordergrund, das eine präzise, abgründige Analyse jener sterbenden amerikanischen Klasse zeichnet, die einst für den amerikanischen Traum stand. Unten, unter den Habenichtsen und Überlebenskünstlern hat man gelernt, sich gegenseitig auszuschalten. Kein Wunder also, dass sich eine Geschäftsidee breit zu machen beginnt, die zu einem der blühenden Kleingewerbe in den Staaten werden könnte: Das Killer-Business. Diese Business hat – auch in der absteigenden Klasse  – seine eigenen Gesetze. Man bringt nur ungern jemanden um, den man kennt. Man tötet am liebsten nicht selbst. Man achtet strengstens auf Diskretion. Das Killer-Business ist da fast so unerbittlich wie das Banker-Business. Es besteht hauptsächlich aus «Networking», aus guten Kontakten, verdeckten Informationen und vor allem aus Einem, dem höchst bezahlten –  Schweigen.

Wer im Killer-Business bestehen will, darf keine Anzeichen von Schwäche zeigen. Er darf auch nicht auf dem Abstieg sein. Das weiss auch Brad Pitt, alias Jackie Cogan. Er ist lange genug im Killer-Business tätig. Ganz unten angekommen wartet auf einen Killer dereinst das, was auf den bankrotten Banker jetzt schon wartet: Die Liquidation.

Während nun die Wahlkämpfer auf den Bildschirmen den  amerikanischen Traum beschwören, und  Wohlstand und Wachstum versprechen, verschafft uns «Killing them softly» einen erbarmungslosen Einblick in die Kehrseite. Nicht nur die beiden Kleinganoven Frankie (Scoot McNairy) und Russel (Ben Mendelsohn) liefern hochinteressante Studien des heutigen Scheiterns. The real America holt uns auch mit Figuren ein, die eigentlich auch im Killergeschäft nicht zum Abschaum ganz unten zählen, die man aber in anderen Mafia-Filmen höchstens eben mal als Bösewichtergesichter auftreten sieht: James Gandolfini ist so ein Gesicht. Er liefert als der herbeigerufene Killer Mickey viel mehr als die Studie eines Heruntergekommenen. Er verkörpert das Ende des Abstieges. Er zeigt, wie unrechtschaffene Amerikaner ihre Hoffnungen verlieren. Working poor unter Killern heisst nichts anderes, als, dass sie jetzt, wie viele andere auch, für weniger arbeiten müssen. Auch die Killer sind in der Zwischenzeit dort angelangt, wo die amerikanischen Arbeiter längst sind: Von ihrer Arbeit lässt sich nicht mehr leben. «Killing them softly» bietet hinreissende Porträts aus einem zusammenbrechenden Wirtschaftssystem, eine simple Abrechnung im Milieu, abgründige Dialoge, und Schauspieler, die sie fantastisch zum tragen bringen. 

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