Klischees kontra Esprit: 7 Fussballsongs zur WM 2014

Die WM-Songs für 2014 tun, was sie schon immer taten: Sie wärmen Musik-Klischees auf. Spielen dürfen Wyclef Jean, Jennifer Lopez, Pitbull und Carlos Santana, dabei hätte Brasilien eine Reihe guter Musiker und eine reiche Tradition an Fussballsongs. Klischee gegen Esprit in sieben Videos. Zu jeder Fussball-WM werden regelmässig ein paar bunte Musik-Klischees des jeweiligen Gastgeberlandes […]

Die WM-Songs für 2014 tun, was sie schon immer taten: Sie wärmen Musik-Klischees auf. Spielen dürfen Wyclef Jean, Jennifer Lopez, Pitbull und Carlos Santana, dabei hätte Brasilien eine Reihe guter Musiker und eine reiche Tradition an Fussballsongs. Klischee gegen Esprit in sieben Videos.

Zu jeder Fussball-WM werden regelmässig ein paar bunte Musik-Klischees des jeweiligen Gastgeberlandes aufgewärmt. Das ist mit Ausrichter Brasilien nicht anders. Das Staraufgebot in den diesjährigen WM-Songs ist enorm. Wyclef Jean, Jennifer Lopez, Pitbull und Carlos Santana heissen die grossen Namen, die zwischen den Matches Brasilien-Flair via TV verbreiten sollen. Doch für mehr Kolorit als Trommelgewitter und plakative Samba-Laune reicht es nicht. Noch schlimmer: Die Künstler aus dem Land selbst hat man in die zweite Reihe verfrachtet. Dabei verfügt Brasilien über eine reiche Tradition an Fussballsongs.

1. Pitbull, J-Lo & Claudia Leite: «We Are One (Ole Ola)»

Der offizielle WM-Song kommt vom Sommerhit-Rapper Pitbull. Nach pompösem Samba-Auftakt gibt sich «We Are One» in den Strophen, die sich der gebürtige Kubaner mit Jennifer Lopez teilt, als simpel gestrickter Sprechgesang. Dass unentbehrliche Schlagworte wie «Ole Ola» und «Mi Mundo, Tu Mundo» fallen, dürfte einmal mehr die Ansicht nähren, in Brasilien werde Spanisch gesprochen. Im Mitsing- und Mitpfeif-Refrain müssen die Sambatrommler dann auch einem Rumba-Rhythmus à la Gypsy Kings weichen. Endlich, nach drei Minuten singt auch eine Brasilianerin mit: Claudia Leite, die neue Königin des Axé, der Partymusik aus Bahia hat einen Auftritt von fünfzehn Sekunden.

2. Santana & Wyclef feat. Avicii & Alexandre Pires: «Dar um Jeito (We Will Find A Way)»

Die offizielle WM-Hymne. Auch hier eine Sambatrommler-Eröffnung. Verwirrung aber bei der Melodie: War das nicht ein Hit von Runrig? Oder Big Country? Jedenfalls tönt sie wie frisch aus dem schottischen Hochland. Die Schotten sind bei der WM allerdings gar nicht dabei. Wyclef Jeans elegante Stimme macht die textlichen Klischees à la «One Voice, One Heart, One Soul» im Namen des Fussballs nicht erträglicher. Der romantische Samba-Crooner Alexandre Pires darf als Feigenblattbrasilianer für 22 Sekunden ran. Und Santana macht halt das, was er immer macht: Er vertrillert und vertremoliert jede einzelne Note. Textliche Essenz: «Here We Go, That’s All We Know» – und das dürfte für machen im Caipirinha-Rausch schon viel sein.

3. Gaby Amarantos & Monobloco: «Todo Mundo»

Ein bekannter Softdrink-Hersteller hat diesen Song in Auftrag gegeben. Es gibt verschiedene regionale Versionen davon und tatsächlich auch einen rein brasilianischen, in der sich Rios innovatives Samba-Orchester Monobloco mit Gaby Amarantos vereint. Die Wuchtbrumme mit den extravaganten Kostümen lässt sich auch gerne mal mit Laserstrahlen aus den Brüsten ablichten. Sie kommt aus dem nördlichen Bundesstaat Pará und hat den Tecno Brega der Armen vom Amazonas, einen Mix aus Electronica und indianischen Rhythmen landesweit in die Charts katapultiert. Hier allerdings steht sie ganz artig im adretten Blazer da und singt eine Hymne auf die Einheit der Welt. Immerhin bringt «Todo Mundo» so etwas wie musikalische und sportliche Spielfreude rüber.

Schade, dass die diesjährigen Songs zum Spektakel eine so jämmerliche musikalische Substanz offenbaren. Es ist eine vertane Chance, denn gerade Brasilien hätte sich mit seiner reichen Szene der ganzen Welt auch kulturell präsentieren können. Zudem gibt es im Land eine Tradition espritvoller Fussball-Songs! Eine kleine Auswahl:

4. Pixinguinha: «Um A Zero» (1919)

Schon vor fast einem Jahrhundert schöpfte der Saxophonist und Pianist Pixinguinha (1897-1973), einer der Urväter der brasilianischen Musik, einen grandiosen Fussballtitel. Pixinguinha schrieb viele seiner Kompositionen im Choro-Stil, dem Vorläufer des Samba, der brasilianische Rhythmen mit den Einflüssen der Kolonialtänze vereinte. So auch in «Um A Zero» («Eins Zu Null»), das er 1919 unmittelbar nach dem 1:0-Sieg Brasiliens im Final der Südamerikameisterschaft schrieb: Im Begleittext von Benedito Lacerda wird sowohl die Historie des Fussballs als auch der turbulente Verlauf der 90 Minuten in Töne gebündelt, dazu wetteifern Ukulele, Tamburin, Klarinette. Hier eine neuere, instrumentale Einspielung namhafter Choro-Musiker.

5. Jackson Do Pandeiro: «O Rei Pelé» (1974)

Jackson Do Pandeiro (1919-1982) war der erste Popstar Brasiliens. Aus dem nordöstlichen Bundesstaat Paraíba stammend hat er seit den 1950er-Jahren die Rhythmen seiner Heimat wie Baião und Coco in den Süden, nach Rio De Janeiro getragen. In einem seiner grössten Hits besingt er den bis heute unbestritten Grössten des brasilianischen Fussballs, den «König Pelé». «Er hat einen sicheren Schuss, für ihn gibt es keinen Torwart, er ist dreifacher Weltmeister und König der Artillerie.» Ganz nebenbei bemerkt: Pelé hat auch selbst gesungen, zum Beispiel eine luftige Bossa zusammen mit Popstar Elis Regina:

Und Pelé macht das mindestens so gut wie seinerzeit Kaiser Franz:

6. Chico Buarque «O Futebol» (1989)

Es gibt wohl keinen Sänger der Música Popular Brasileira, der eine grössere Affinität zum runden Leder hat. Buarque wäre in seiner Jugend fast Profi geworden, ist langjähriger Fan des Rio-Clubs Fluminense und spielt auch mit 70 Jahren noch mehrmals die Woche Fussball zum Spass mit Altstars wie Zico oder Junior. Und gerade weil er so fussballverrückt ist, hat er für die FIFA nur beissende Kritik übrig. In einem seiner sprachspielerisch geschliffenen Texte hat er dem Spiel aller Spiele natürlich auch musikalisch ein Denkmal im Sambarhythmus gesetzt. Kleine Sprachkunde am Rande: In Brasilien spricht sich Fussball «futschiboll»!

7. Jorge Ben Jor: «Camisa 10 Da Gávea» (1977)

Brasiliens Sambafunkmeister der 1970er-Jahre hat mehrere Fussballsongs geschrieben, und es sind die geschmeidigsten des Landes überhaupt. Sein schönster ist dieser, in dem er die Nummer 10 des Clubs Flamengo aus Rios Stadtteil Gávea verherrlicht – und die trug damals Weltstar Zico.

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Brasilien im Fokus: Die TagesWoche widmet sich die kommenden Tage dem Gastgeber der Weltmeisterschaft 2014 – eine Übersicht der Artikel liefert das Dossier zum Thema.

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