Kommissar Maigret in Lüttich auf der Spur

Lüttich, das eigentlich Liège heisst, ist uns wenig bekannt. Zu Unrecht, erweist sich die Stadt doch als Perle des belgischen Savoir vivre.

Stelldichein im herrschaftlichen Garten: Die Liègeoiser sind bekannt für ihre Geselligkeit. (Bild: Jonas Schmid)

Lüttich, das eigentlich Liège heisst, ist uns wenig bekannt. Zu Unrecht, erweist sich die Stadt doch als Perle des belgischen Savoir vivre.

Der erste Wow-Effekt überwältigt uns schon bei der Ankunft: Der Bahnhof Liège-Guillemins, vom spanischen Stararchitekten Santiago Calatrava entworfen und 2009 in Betrieb genommen, ist spektakulär: Wie ein mächtiges Gerippe stützen 39 weisse Stahlbögen eine auf- und abschwingende Kuppel, eine riesige Welle, die sich über knapp 200 Meter erstreckt.

Calatrava, der sein Bahnhofsbau-Können in Zürich-Stadelhofen bereits andeutete, stellt es in der wallonischen Metropole in vollendeter Form unter Beweis. Aus der Ferne betrachtet, schwebt das Bahnhofsgebäude wie ein weisses Tuch über der Stadt im Maastal.

Der Weg vom Bahnhof ins Zentrum zieht sich leider etwas in die Länge. Klüger wäre es gewesen, in Guillemins auf einen Regionalzug umzusteigen und bis Liège-Palais weiterzufahren, von wo aus wenige Schritte in die Innenstadt führen. Nimmt man Guillemins als Ausgangspunkt, führt die Strecke Richtung Altstadt entlang der träge fliessenden Maas, flankiert von schmuddeligen Häuserzeilen, die ihre beste Zeit offensichtlich längst hinter sich haben.

Lüttich, früher ein Mittelpunkt der Schwerindustrie, deren glimmende Schmelzöfen der Stadt auch den Namen «Cité ardente» (glühende Stadt) einbrachten, verarmte nach dem Zusammenbruch des Kohlebergbaus. Derzeit erlebt die Stadt jedoch eine Renaissance und mausert sich zum modernen Dienstleistungszentrum.

Je näher die Altstadt rückt, desto öfter weichen Industrielandschaften geschichtsträchtigen Bauten und herrschaftlichen Stadthäusern. Schliesslich steht man vor dem Palais des Princes-Évêques, dem ehemaligen Bischofspalast an der Place Staint-Lambert. Dieses emblematische neoklassizistische Gebäude wurde im Laufe der Jahrhunderte ständig erweitert und ist heute Sitz der Regionalregierung und der Justiz. Auf der gegenüberliegenden Seite steht das 1714 erbaute barocke Rathaus mit seinen wappengeschmückten Giebeln.

Das Bier will verdient sein

Eine besonderen Attraktion ist die Treppe Montagne de Bueren. Wer die sportliche Herausforderung annimmt und ihre 374 Stufen erklimmt, wird mit einem herrlichen Ausblick belohnt. Etwas extremer ist die Veranstaltung «L’everest de Bueren», die diesen Sommer zum zweiten Mal stattgefunden hat: 132-mal müssen die Athleten treppauf und -ab steigen und so 8850 Höhenmeter, also die Höhe des Everests, bewältigen. Uns hingegen brachte schon das einmalige Erlebnis ins Schwitzen…

Wer sich nun etwas ausruhen will, dem bieten sich dafür die adretten Cafés an der Place de la marché an. Unter lauschigen Kastanienblättern nippt man hier besonders atmosphärisch an einem der weltberühmten belgischen Biere. Zu empfehlen ist das «Triple Karmeliet», ein blond-crèmiges Bier mit fruchtigem Geschmack und hohem Alkoholgehalt. Gleich um die Ecke kommen Liebhaber von Süssgebäck und leckeren Gaufres bei «Saperlipopette» auf ihre Kosten, und die besten Frites der Stadt sind in der Friterie du Perron auf der gegenüberliegenden Strassenseite erhältlich. 

In Lüttich stösst man auf die Spuren des Krimiautors und Maigret-Erfinders Georges Simenon.

Für belgisches Flair und Lebenslust steht auch das Viertel Outremeuse, das auf einer Insel in der Maas liegt und bequem über die Brücke Pont des Arches erreicht wird. In jeder Strasse finden sich kleine Restaurants mit attraktiven Speisen. Einst lebten hier rebellische Bürger, die sich von Herrschern und Fürsten losgesagt hatten, in einer selbsterklärten «freien Republik».

Ausserdem stösst man hier auf die Spuren des wahrscheinlich bekanntesten Lüttichers, des Krimiautors und Maigret-Erfinders Georges Simenon. Obschon Simenon die meiste Zeit im Ausland lebte, lässt er seinen Kommissar Maigret mit Vorliebe in Outremeuse ermitteln. Touristen können während eines zweistündigen Spaziergangs mit Audioguide die Schauplätze der Verbrechen besuchen. Ausgangspunkt ist die Maison du Tourisme an der Place Saint-Lambert.

Wer den Tag in der Bar «Le pot au lait» ausklingen lässt, ist endgültig auf dem Lièger Olymp angekommen. Die Bar mit ihrem einzigartigen Dekor gilt als echter Geheimtipp: Gefühlte tausendmal kommt man hier vorbei und entdeckt jedes Mal ein neues originelles Kunstwerk. Die Bar ist in den frühen Abendstunden der Mittelpunkt des studentischen Lebens, bevor sich dieses später ins Carré verabschiedet, ein Geflecht aus engen Gassen mit überlauten Kneipen mitten im Stadtkern. Am Wochenende macht da manch einer die Nacht zum Tag.

  • Anreisen: Der Thalys fährt fünfmal täglich von Köln nach Lüttich.
  • Ausspannen: Am ersten Samstag im Oktober erhellen 15’000 Kerzen die Montagne de Bueren. Dazu gibt es Musik auf der Strasse, Theatervorstellungen und offene Türen.
  • Ansehen: 100 Jahre 1. Weltkrieg: Ausstellung im Bahnhof Liège-Guillemins und Musée de la vie wallonne bis 31. Mai 2015, Öffnungszeiten: täglich von 9.30 bis 18.30 Uhr.

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