Kommission will Zuwanderung mit «Inländervorrang light» steuern

Der Vorschlag zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative von der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats (SPK) überrascht durch Kompromisse – nur die SVP war dafür nicht zu haben.

Kurt Fluri (FDP/SO), Kommissionspräsident Heinz Brand (SVP/GR) und Gregor Rutz (SVP/ZH) erklären, wie die Staatspolitische Kommission des Nationalrats die Masseneinwanderungsinitiative umsetzen will. (Bild: sda)

Der Vorschlag zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative von der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats (SPK) überrascht durch Kompromisse – nur die SVP war dafür nicht zu haben.

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Kommissionspräsident Heinz Brand (SVP/GR) sprach am Freitag vor den Bundeshausmedien von einem Kompromiss. Diesem stimmten letztlich alle Fraktionen mit Ausnahme der SVP zu. In der Schlussabstimmung wurde die Gesetzesänderung mit 16 zu 9 Stimmen angenommen.

Vorgesehen sind laut Brand drei Stufen von Massnahmen:

Erste Stufe:

Zunächst muss der Bundesrat dafür sorgen, dass das inländische Arbeitskräftepotenzial besser genutzt wird. Dadurch soll die Zahl der Arbeitslosen reduziert und der Hunger der Wirtschaft nach ausländischen Arbeitskräften etwas gedämpft werden.

Zweite Stufe:

In einem zweiten Schritt kann der Bundesrat anordnen, dass Arbeitgeber offene Stellen zunächst dem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) melden müssen. Eine Pflicht zur Anstellung inländischer Arbeitskräfte ist damit nicht verbunden. Dieser so genannte «Inländervorrang light» kommt zum Zug, sobald die Zuwanderung ein bestimmtes Niveau überschreitet.

Die Grenze wird vom Bundesrat unter Berücksichtigung der Wirtschaftsentwicklung, der Arbeitslosigkeit und der Löhne festgelegt. Nach Ansicht der Verwaltung und der Kommission sei diese Meldepflicht mit dem Freizügigkeitsabkommen vereinbar, sagte Kurt Fluri (FDP/SO), der sich in der Kommission für das Modell stark gemacht hatte. Das bestätigte auch SPK-Präsident Heinz Brand

Dritte Stufe:

Als dritte Stufe kann der Bundesrat bei schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Problemen «geeignete Abhilfemassnahmen» beschliessen. Diese dürften aber nur mit Zustimmung der EU in Kraft gesetzt werden. Stimmt der gemischte Ausschuss zu, könnte die Schweiz auch Höchstzahlen einführen.

Als einseitige Massnahme sind Kontingente in den Anträgen der Kommission jedoch nicht vorgesehen. Damit weicht sie stark von den Vorschlägen des Bundesrats ab. Dieser hat für den Fall, dass mit der EU keine Einigung zu Stande kommt, eine einseitige Schutzklausel vorgeschlagen. Bei Überschreitung eines bestimmten Schwellenwertes würde die Zuwanderung damit zahlenmässig begrenzt.

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Die Entscheide der Kommission überraschen. Die CVP hatte im Vorfeld erklärt, eine Variante mit Höchstzahlen als letztes Mittel zur Diskussion zu stellen. Wenn die Vertreter der CVP-Fraktion in der Kommission geschlossen gestimmt hätten, wäre zusammen mit den Stimmen der SVP eine Mehrheit für das Modell zusammengekommen. Nach Auskunft von Kommissionsmitglied Gregor Rutz (SVP/ZH) wurde darüber aber letztlich gar nicht abgestimmt.

Gerechnet wird mit 5000 bis 10’000 ausländischen Arbeitskräften weniger in der Schweiz.

Damit setzte sich das Modell Fluri durch. «Wir wollen die Zuwanderung indirekt beschränken», erklärte er. Seiner Meinung nach könnte die Meldepflicht dazu führen, dass 5000 bis 10’000 ausländische Arbeitskräfte weniger in die Schweiz kommen.

Dass mit der Massnahme die Initiative nicht wirklich umgesetzt wird, bestreitet Fluri nicht. «Für uns war von Anfang an klar, dass eine wörtliche Umsetzung nicht möglich ist», sagte er. Er verwies auch auf die im Verfassungstext erwähnten gesamtwirtschaftlichen Interessen. Es sei darum das Ziel gewesen, die Initiative so umzusetzen, dass das Freizügigkeitsabkommen mit der EU nicht verletzt werde.

Die SVP findet es «inakzeptabel»

Für die SVP ist das «inakzeptabel». Die Verfassung verlange eine eigenständige Steuerung der Migration, sagte Rutz. Das sei nicht möglich, wenn es dafür das Einverständnis der EU brauche. Auch die mit der Zuwanderung verbundenen Probleme würden dadurch nicht gelöst.

Ob die SVP gegen die Gesetzesänderung das Referendum ergreifen oder gar eine Durchsetzungsinitiative lancieren wird, liess Rutz offen. Es gelte zunächst die Session abzuwarten. Der Nationalrat diskutiert in der zweiten Woche der Herbstsession über die Vorlage.

Ob die SVP gegen die Gesetzesänderung das Referendum ergreifen oder gar eine Durchsetzungsinitiative lancieren wird, liess SVP-Kommissionsmitglied Rutz offen.

Die SPK weicht mit ihren Anträgen an den Nationalrat stark von den Vorschlägen des Bundesrats ab: Dieser hat für den Fall, dass mit der EU keine Einigung zu Stande kommt, eine Schutzklausel vorgeschlagen. Bei Überschreitung eines bestimmten Schwellenwertes würde die Zuwanderung damit zahlenmässig begrenzt. Der Nationalrat diskutiert in der zweiten Woche der Herbstsession über die Vorlage.

Volk und Stände hatten die Masseneinwanderungsinitiative der SVP am 9. Februar 2014 angenommen. Diese verlangt, dass die Schweiz die Zuwanderung mit Kontingenten und einem Inländervorrang steuern muss. Die Frist für die Umsetzung beträgt drei Jahre, läuft also im nächsten Februar aus.

Die SPK weicht mit ihren Anträgen an den Nationalrat stark von den Vorschlägen des Bundesrats ab.

Beschliesst das Parlament bis dahin keine Umsetzung, muss der Bundesrat den Verfassungsauftrag vorläufig mit einer Verordnung umsetzen. Zudem müssen völkerrechtliche Verträge, die im Widerspruch zum neuen Verfassungsartikel stehen, ebenfalls innerhalb von drei Jahren neu verhandelt und angepasst werden.

Das betrifft in erster Linie das Freizügigkeitsabkommen mit der EU. Diese hat der Schweiz aber bisher keine Verhandlungen über die Änderung des Abkommens zugestanden.

Ob eine Einigung innerhalb des Abkommens zu Stande kommt, die eine einvernehmliche Umsetzung des Verfassungsauftrags erlauben würde, ist derzeit noch offen.

Die Reaktion der Parteien auf den Umsetzungsvorschlag:

Die CVP spricht

von einer «gangbaren Lösung». Die Lösung entspreche dem Willen der Kantone und ermögliche es, dort Abhilfemassnahmen zu beschliessen, wo sie nötig sind. «Das Konzept sieht vor, dass bei schwerwiegenden wirtschaftlichen oder sozialen Problemen eine zeitlich beschränkte, berufsspezifische Schutzklausel zum Tragen kommt, um im betroffenen Kanton das inländische Arbeitskräftepotential zu nutzen», schreibt die CVP in einer Stellungnahme.

Die FDP wartet mal ab.

Der «Tages-Anzeiger» zitiert die noch unentschlossen Liberalen, wie folgt: «Die heute von der SPK-N vorgestellten Beschlüsse zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative bieten für die FDP-Liberale-Fraktion die Grundlage für eine Diskussion anlässlich der vorsessionalen Fraktionssitzung vom Freitagnachmittag.»

Auch die Grünen haben sich bereits geäussert.

Fraktionschef Balthasar Glättli wird im «Tages-Anzeiger» zitiert: «Wir sind erleichtert über die breite Koalition der Vernunft in der staatspolitischen Kommission. Sie sichert die Bilateralen und ermöglicht gleichzeitig Massnahmen wie den Arbeitslosenvorrang. Zudem wurden auf Antrag der Grünen die Kontingente beim Familiennachzug aus Drittstaaten gestrichen.»

Keine Freude hat erwartungsgemäss die SVP:

Der Verfassungsauftrag verlange unter Berücksichtigung der gesamtwirtschaftlichen Interessen der Schweiz «den Inländervorrang, jährliche Höchstzahlen und Kontingente sowie eine eigenständige Steuerung der Zuwanderung», schreibt die SVP in ihrer Medienmitteilung. «Der nun von der SPK-N präsentierte Umsetzungsvorschlag geht in keiner Weise auf diesen Verfassungsauftrag ein.» Der «Inländervorrang light» könne «einzig bei einer Überschreitung eines zu bestimmenden Schwellenwertes eine Stellenmeldepflicht einführen, sonst nichts.»

Die Partei kündigt an: «Wird das Parlament die Vorlage nicht noch massgeblich ändern im Sinne der Minderheitsanträge der SVP-Mitglieder der SPK-N, wird die SVP dieses Umsetzungsgesetz ablehnen.»

Die Dachorganisation der Schweizer KMU lobt

den von der staatspolitischen Kommission eingeschlagenen «unbürokratischen Weg» zur Umsetzung in einer Medienmitteilung: «Über eine niederschwellige Meldepflicht offener Stellen lässt sich der Inländervorrang umsetzen. Indem Studierende nicht als Zuwanderer gelten, bleibt der Bildungsstandort Schweiz gestärkt. Diese wirtschaftsfreundliche Stossrichtung muss konsequent weiterverfolgt werden. RAV-Zwang bei der Meldepflicht oder behördliche Widerspruchsmöglichkeiten bei Stellenbesetzungen sind unbedingt zu vermeiden.»

Lob gibt es auch vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund.

Der SGB wertet es als positiv, dass der Kommissionsvorschlag zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative keine Kontingente und Höchstzahlen vorsieht. «Diese haben in der Vergangenheit zu Schwarzarbeit und prekären Arbeitsbedingungen geführt», heisst es in der Medienmitteilung: «Mit der Meldepflicht für offene Stellen hat die Kommission einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Zahlreiche Länder in Europa haben mit einer solchen Massnahme bereits positive Erfahrungen gemacht. Nicht nachvollziehbar ist jedoch, dass diese Meldepflicht erst dann in Kraft tritt, wenn die Migrationszahlen ein gewisses Niveau erreicht haben. Die Meldepflicht muss sofort und dauerhaft eingeführt werden.»

Und wie reagiert die Region Basel?

Die ersten Reaktionen gesammelt: Basel ist erleichtert über den Vorschlag der Nationalratskommission.

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Wie das lief mit der Masseneinwanderungsinitiative? Der «Tages-Anzeiger» mit einer Übersicht: Was das Ja zur MEI auslöste – eine Chronologie

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