Konvergenz ist keine Strategie

Während die Verlage hierzulande noch an der «Konvergenz» basteln, vollziehen diejenigen im angelsächsischen Raum den Schritt zur neuen Strategie: «Digital first». Oder: Aus Zeitung «mit online» wird «online plus Zeitung». Jüngst bei der Financial Times. Ausgerechnet der britische Guardian machte es publik: Diese Woche hat der Chefredaktor der Financial Times seinen Redaktionen angekündigt, dass die […]

Financial Times

Während die Verlage hierzulande noch an der «Konvergenz» basteln, vollziehen diejenigen im angelsächsischen Raum den Schritt zur neuen Strategie: «Digital first». Oder: Aus Zeitung «mit online» wird «online plus Zeitung». Jüngst bei der Financial Times.

Ausgerechnet der britische Guardian machte es publik: Diese Woche hat der Chefredaktor der Financial Times seinen Redaktionen angekündigt, dass die FT einen strategischen Schritt hin zu «online first» vollziehen werde. Lionel Barber macht in der ausführlichen Mitteilung klar, welch gigantisches Unterfangen der Wechsel ist. Die FT erscheint in diversen Ausgaben mit unterschiedlichsten Frontseiten. Die Produktion der Zeitung von Redaktion über Layout bis zu Druck und Distribution ist ein komplexes Zusammenspiel von Prozessen mit unverschiebbaren Terminen, und alles in diesem Betrieb ist auf diese Produktion ausgerichtet. Weil «online first» nicht einfach die Zeitung im Internet ist, sondern ganz andere Prozesse, andere Termine, andere Schreibweisen und ein anderes Storytelling verlangt, wird der Umbau weitreichende Konsequenzen haben – nicht zuletzt beim Personal, wo 35 Mitarbeitende entlassen und umgekehrt 10 neue mit anderem Anforderungsprofil angestellt werden sollen.

Der Fall könnte exemplarisch werden, weil mit der FT nicht einfach ein weiteres (angelsächsisches) Traditionsblatt erkannt zu haben scheint, dass rein organisatorische Anpassungen des Mediums an die elektronische Publikation nicht ausreichen, sondern ein grundlegender Strategiewechsel unausweichlich ist.

Die FT ist ein Supertanker, der gerade wegen seiner Komplexität und Grösse die Kurve weit weniger leicht nehmen kann als andere, die den neuen Weg auf die eine oder andere Art bereits eingeschlagen haben:

  • Das entgegen seinem Titel keineswegs religiöse, sondern einem sachlichen Journalismus verpflichtete amerikanische Blatt «Christian Science Monitor» gehörte zu den ersten Verlagsprodukten überhaupt, die ihre Inhalte auch online anboten – ab 1996. Und im Jahr 2009 stellte der CSM die gedruckte Ausgabe Tagesausgabe ein, um fortan als Wochenend-Magazin und täglich online zu erscheinen.
  • Der erwähnte britische Guardian, drittgrösste Zeitung des UK, setzte ab 2004 vermehrt auf online und passte seinen Journalismus entsprechend an. Das Traditionsblatt wurde zu einer hochmodernen News-Organisation und erhöhte seinen Bekanntheitsgrad rasend schnell weltweit, fuhr aber auch 2012 noch Verluste ein.
  • Als im März 2012 das hochverschuldete Wochenblatt «Newsweek» in den USA trotz seiner beachtlichen Auflage (1,8 Millionen Exemplare) verkündete, Print einzustellen und ein rein digitales Abo-Modell anzubieten, rätselten Experten, ob das ein Trend werden könnte oder nur der Anfang vom Ende des Blattes sei.

Beantworten könnten diese Fragen vielleicht jene neuen Produkte, die von allem Anfang an ohne Printredaktion, Druck und Verteilung konzipiert waren, wie beispielsweise die amerikanische «Huffington Post» oder «Buzzfeed». Sie zeichnen sich aber eben nicht nur durch schlanke Strukturen in den technischen Bereichen aus, sondern durch eine strategische Anpassung des Journalismus, den sie anbieten: Sie sind schneller, vielfältiger in den Medienformaten, setzen verstärkt auf Partizipation des Publikums und verstehen sich auch und vor allem als Kuratoren der gigantischen Nachrichtenwellen, die jeden Tag durch das Internet rollen.

Darin liegt der Unterschied in dem, was jetzt auch hierzulande von den grossen Medienhäusern ausgerufen oder umgesetzt wird, der «Konvergenz» der Redaktionen – und dem eigentlichen, viel tiefer gründenden Schritt von «digital first». Erstere ist nicht viel mehr als eine organisatorische Anpassung, welche die eilends geschaffenen zusätzlichen Online-Redaktionen mit der traditionellen, dominanten und prestigeträchtigeren Print-Redaktion verheiraten soll.

Diese Massnahme greift aber genau deswegen zu kurz, weil sie die Tradition des behäbigen Print-Journalismus mit all seinen Abläufen und Gewichtungen auf eine neue Plattform hievt (was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass NZZ, Tages-Anzeiger und 20Minuten alle den Print-Chefredaktor zum Chefredaktor der konvergenten Redaktion erkoren haben). Das Publikum aber ist längst im Netz angekommen und hat sich ausserhalb des Korsetts des Zeitungsformat völlig neue Fomen des Konsums und – das wird regelmässig vergessen – des Mitwirkens erschlossen.

Wo in der Zeitung Gestaltung und Layout, Platzierung der Artikel, Primeure und Zitierung in anderen Blättern im Vordergrund standen, geht es in der Online-Welt darum, mehr schnelle Analyse zu liefern, via Google gefunden zu werden und der eigenen Leserschaft den Zugang zu den Leistungen anderer Redaktionen zu gewähren.

Das ist eine andere Kultur, nicht nur eine andere Darreichungsform. Die Verlage, die sie verstehen und darin ihr Geschäftsmodell finden wollen, müssen deshalb nicht nur die Organisation, sondern vor allem zuerst die Strategie anpassen.

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