Kopfhörer auf, Mikrofon an und ran an den Kommentar

Wir haben es alle schon mal gedacht: Was Beni Thurnherr & Co. könnnen, könnte ich auch. Jetzt gibt es die Chance dazu: Auf Marcel-ist-Reif.de können sich Amateur-Reporter anmelden und los kommentieren. Live und für die gesamte Welt – zumindest theoretisch. Das Spiel zwischen Dänemark und Portugal lief keine 10 Minuten, da war es wieder soweit. […]

Wir haben es alle schon mal gedacht: Was Beni Thurnherr & Co. könnnen, könnte ich auch. Jetzt gibt es die Chance dazu: Auf Marcel-ist-Reif.de können sich Amateur-Reporter anmelden und los kommentieren. Live und für die gesamte Welt – zumindest theoretisch.

Das Spiel zwischen Dänemark und Portugal lief keine 10 Minuten, da war es wieder soweit. Pepe fuchtelte mit den Händen in der Luft, brüllte seine Vorderleute an und TV-Kommentator Dani Kern sagt: «Pepe ist sauer.» Kern hat nicht gesagt, dass das Mittelfeld komplett geschlafen hat, die Verteidigung darum herausrücken musste und mit heruntergelassenen Hosen erwischt wurde. Kern sagt: «Pepe ist sauer.» Von da an war es wieder soweit: Man hört nur noch die Beschreibungen des Geschehens. «Flanke Nani.» «Ronaldo nimmt den Ball mit.» Aha, denkt man sich dann, es sind also nicht die Dänen im Angriff.

Über Kommentatoren kann man sich mehr aufregen als über Schiedsrichter, die gegen die eigene Mannschaft pfeifen. Wirklich. Egal, wer hinter dem Mikrofon hockt. Gestern war es Dani Kern, heute ist es vielleicht Sascha Ruefer und morgen dann wieder Beni National. Egal, sie nerven. Und die Deutschen haben es nicht besser. Klar, sie haben Gerd Gottlob, Tom Bartels und Béla Réthy, die mögen in Schweizer Augen gut sein, aber der Deutsche nervt sich zuhause vor dem TV trotzdem über sie. Wirklich.

Um die Gedanken der Fans zu ergründen, braucht es keine Psycho-Analyse: «Was diese Kommentatoren können, könnt ich schon lange.» Nächstes Mal schaltet man trotzdem wieder ein, und hört: «Pepe ist sauer.»

Wer genug hat, für den gibt es endlich eine Alternative: Marcel-ist-reif.de. Auf der Webseite kann jeder mit einem Mikrofon und einer Internetverbindung selbst zum Reporter mutieren. Live und mit seinem eigenen Stil. Fachchinesisch, lustig, emotional, parteiisch, in Reimen oder gesungen. Egal. Zuhörer sind einem gewiss, denn jeder der sich selbst nicht zum neuen Marcel Reif berufen fühlt, kann einfach aus bisher rund 250 Amateur-Kommentatoren auswählen und reinhören.

Kein kommerzielles Projekt

Allein am Mittwoch verzeichnete die Webseite über 14’000 Besucher, die Tendenz ist seit Beginn der Euro steigend. Keine schlechte Bilanz für ein Hobbyprojekt, das erst vor sieben Tagen online ging. «Wir haben an den Erfolg geglaubt», sagt Mitgründer Wendelin Hübner, «aber dass die Seite so bekannt wird, hätten wir uns nicht erträumt.» Geld verdient weder er, noch sein Kollege Moritz Eckert mit Marcel-ist-reif.de. Es gibt weder Werbebanner, noch irgendwelche Kosten für die Nutzer. «Es ist reiner Spass und Hobby.» Im Moment zumindest. Wie es nach der Euro 2012 weitergeht, ist noch unklar. Spielt aber zurzeit auch keine Rolle, sagt Hübner. «Wir geniessen den Erfolg einfach mal, dann gucken wir weiter.»

Dass sie einen Bedürfnis gedeckt haben, zeigen die Reaktionen der stetig wachsenden Fan-Gemeinde. Erst letzthin, sagt Hübner, hat ihnen ein 16-Jähriger eine Mail geschrieben. Die Nachricht: «Ihr habt mir einen Traum erfüllt.» Ein erhebendes Gefühl für die beiden Initianten gerade angesichts der Geschichte hinter der Webseite. Es fing alles vergangenen Sommer in der Halbzeitpause eines Champions-League-Spiels an. Vor einem Café in Berlin fachsimpelten Studenten, der Wirt machte Witze und Eckert ging ein Licht auf. All diese Leute müssten doch zu Wort kommen können. «Lass uns eine Do-it-yourself-Kommentarseite gründen», schrieb Eckert an Hübner per SMS. Zwölf Monate später werden sie als Revolutionäre gefeiert und die «Süddeutsche Zeitung» titelt: «Bald ist Marcel reif für die Rente.»

Erst zweimal selbst kommentiert

Einen Wermutstropfen gibt es trotz des Erfolgs. Eckert und Hübner kommen kaum noch zum selber kommentieren. «Wir haben uns damit ja auch einen Bubentraum erfüllt, leider können wir ihn vor lauter Arbeit gar nicht geniessen», sagt Hübner. Während der Spiele sind beide inzwischen hauptsächlich damit beschäftigt, den reibungslosen Ablauf zu sichern. Erst zwei Spiele konnten sie selbst kommentieren. Zum Mikrofon greifen dafür inzwischen aber bereits Halbpromis wie Spiegel-Kolumnist Achim Achilles, Medienprofis wie die Jetzt.de-Redaktion und ganz viele Leute, sagt Hübner, «die jetzt noch keiner kennt, aber nach der Euro».

Versagt hat bisher nur die Schweiz. Sämtliche deutsche Bundesländer sind mit Kommentatoren vertreten, sogar ein Tiroler ist dabei, doch ein Schweizer fehlt. Aber wer weiss, die Euro dauert noch lange und auf dem SF bleibt «Pepe sauer». Und irgendwann sollte doch schon der eine oder andere die Nase voll haben.

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