Eine Reise mit «La Grande Bellezza» führt tief in die Werke von Fellini. Wer mit Paolo Sorrentino in Rom unterwegs ist, darf durchaus auch etwas von Fellinis Frechheit kosten. Doch Sorrentini rechnet bitterer ab als sein poetischer Vorfahre: Vorwärts kommen wir nicht mehr. Wir sinken nur tiefer.
Ein leiser Hauch Fellini weht durch die Bilder
Roma aeterna! Auch wenn die nachfolgende Reisebeschreibung nicht nur anziehend klingt: Paolo Sorrentino lädt Sie zu der faszinierendsten Rom-Reise ein, die Sie zur Zeit buchen können! Wählen Sie diese Destination für sieben Tage. Sieben Tage, in denen andere eine ganze Welt erschaffen, werden Ihr Weltbild erneuern. Ihr Reiseleiter, Jep Gambardella, ein gutaussehender, trinkfester Zyniker, der fast zu jeder Rede eine entwaffnende Gegenrede hält, ist Autor und geniesst einen grossen Ruf, obwohl er seit Jahren auf der Suche nach der nächsten Inspiration ist, vor allem in der Unterwäsche junger Frauen.
Jep (Toni Servillo) führt Sie, wie einst Marcello Mastroianni durch Fellinis Kosmos, durch sein unvollendetes Gedankenwerk – umgeben von Rätseln, die er schlagersingend lüften könnte: Warum seine Liebe ihn verliess. Warum nach den schönsten Augenblicken im Leben nicht noch schönere kommen können. Warum die Schönheit nicht vergänglich ist, hingegen wir? Warum schmeckt der Risotto aufgekocht immer besser als frisch? Und die Liebe nicht?
7 Tage, in denen Rom sich erbaut
Sie beziehen am ersten Abend eine Wohnung direkt neben dem Kollosseum, halten dort fast jeden Abend eine Party ab, treffen arme, intelligente Stripteasetänzerinnen oder reiche, dumme Adelige und dürfen jede Nacht entscheiden, wen Sie als Gesprächspartner im Bett vorziehen. Sie sollten allerdings Heidegger gelesen haben, vielleicht die «Lettere Luterane» von Pasolini, bei Eurokommunismus nicht zurückzucken, und: Sie sollten Witze über Fürze eher populär als vulgär finden. An der Bar sind alle Drinks für Sie frei und Sie lernen viel Italo-Hip mit etwas Hop kennen! Vielleicht entscheidet sich ihre Barnachbarin ja heute nacht, eine weltberühmte Schriftstellerin wie Virginia Woolf zu werden?
Tagesausflüge in «La Dolce Vita»
Am Abend gibt es Karaoke-Anlässe mit Schlagertexten, die von Sloterdijk sein könnten. Ihr Reiseleiter, der erfolgsverwöhnte Ex-Literat, wird Sie kaum in ein literarisches Kolloquium verwickeln. Es ist also nicht erforderlich, dass Sie in den neuesten Werken der italienischen Literatur belesen sind. Vielleicht erwähnen sie mal Petronius. Satyricon. Oder Sie lassen ein Zitat aus «Otto e Mezzo» (Vorsicht: Das ist kein deutsches Komikerpaar!) einfliessen. Es reicht, wenn Sie einen einzigen Satz über ein Buch parat haben. Die Zeiten, wo man in Italien Bücher noch selber gelesen hat, sind in Ihren Kreisen längst passé.
Lesen und lesen lassen
Weltbild-Reisenden werden hinreichend Erklärungen geliefert, warum die Stiefelbewohner doch alle heimlich so sein möchten wie ihr Ex-Staatschef. Die Reise mit dem Kreuzfahrtschiff «La Grande Bellezza» ist also eher etwas für Urlauber, die das Land, wo die Neurosen blühn, gerne vom Schiff aus sehen, ohne sich daran zu stören, dabei auch mal schief zu liegen.
Ausser der Illusion, dass in Italien längst keiner mehr Illusionen hat, kriegen Sie nur Illusionen geliefert, und handfeste obendrein: Rom liegt am Meer. Nur hat sich das Meer etwas zurückgezogen. Wenn Sie sich dabei geistig leer fühlen, aber darüber gerne wortreich konversieren, werden Sie den anspruchslosesten Urlaub ihres Lebens verbringen: Machen Sie sich immerhin darauf gefasst, dass Sie meist sprachlos in ihrem Hotelzimmer einschlafen werden.
Sie nehmen anderntags ohnhin an Wortschwällen teil, die Sie nicht gebucht haben, treffen antike Statuen, die lebendiger wirken als die Einheimischen. Sie dürfen abends überschminkten Damen in Lederhautritzen schauen. Und unser intellektueller Personal Trainer wird Sie rund um die Uhr fit halten mit paraphilosophischen Fragestellungen.
Vati kann alles!
Insgesamt ist diese Italien-Reise berauschend und ernüchternd zugleich: Achten Sie darauf, dass Sie beim Vatikanbesuch bei Kardinal Bellucci einen Tischplatz erwischen. Es ist wie immer auf Reisen mit Bessergestellten: Neben dem Gastgeber ist der Wein am besten. Ausserdem, was der Heilige Vati kann, wird Ihren Gaumen entzücken: Canneloni alle vongole, Agnello in Brodo, Barsch auf Fettuccine und Spagetti Aglio e Olio alla Vaticana werden von ihm persönlich angerichtet. Ausser Rezepten betet der Kardinal gar nichts.
Sie werden intellektuell erheitert aus Italien zurückkehren. Allerdings werden Sie auch eine leichte politische Depression verzollen müssen. Stellen Sie also einen Frizzante kühl. Oder besser gleich mehrere. Damit sie sich am nächsten Morgen fragen können: Habe ich das alles nur geträumt?
Mehr über den Film, der in den Kult-Kinos läuft, auch im Lichtspiele-Blog.