Kopfreise mit «Venus Noire»

Zeitreisen werden nur von den wenigsten Reisebüros angeboten. Die meisten Urlauber legen heute Wert auf modene Standards, wenn sie historische Vergangenheit besichtigen. Wer mit «Venus noire» reist, findet sich mitten unter faszinierenden Menschen, tief in der wilden Zeit von Darwins Kindheit wieder. Um mit «Venus Noire» eine Zeitreise zu einer Völkerschau nach London und Paris […]

Frauenlos zu Darwins Zeit: Yahima Torrès als schwarze Venus

Zeitreisen werden nur von den wenigsten Reisebüros angeboten. Die meisten Urlauber legen heute Wert auf modene Standards, wenn sie historische Vergangenheit besichtigen. Wer mit «Venus noire» reist, findet sich mitten unter faszinierenden Menschen, tief in der wilden Zeit von Darwins Kindheit wieder.

Um mit «Venus Noire» eine Zeitreise zu einer Völkerschau nach London und Paris zu unternehmen, können Sie gut in Basel bleiben. So wie in London im 19. Jahrhundert fremdländische Rassen zur Schau gestellt wurden, so wurden einst auch in Basel Sudanesen vorgeführt. Hinter Zäunen. Im Zoo. Die Reise mit «Venus Noire» führt sie aber nach London.

«Venus Noir» – eine Zeitreise

Wir lernen «Venus Noire» bei der Arbeit kennen: Sarah «Saartje» Baartman (Yahima Torrès) behauptet, freiwillig nach London gekommen zu sein. So zumindest stellt es ihr Arbeitgeber (oder Besitzer?) Hendrick Caezar (André Jacobs) dar.  Als «wilde Bestie» peitscht dieser Menschenhalter die Hottentottin 1810 durch das Publikum.

Die Londoner waren amused, aber auch disgusted – kein Wunder: war doch der Sklavenhandel seit 1807 in London verboten (was übrigens den Basler Christophe Bourcard, Sohn von Christoph Burckhardt-Merian, nicht daran hinderte, in Nantes noch weiter mit Sklaven zu handeln, auch nachdem der Wiener Kongress dies untersagt hatte. Die Frères Merian betrieben in London immerhin bis 1831 ihre «Risiko- und Spekulationshandlung»). 

Den Nächten des Mobs folgten die wilden Nächte mit Snobs

Wer mit «Venus Noire» in die Zeit des Sklavenhandels reist, kann all die Orte der Erniedrigungen besichtigen, die eine gehandelte und derart behandelte Frau über sich ergehen lassen musste, wenn sie in die Maschinerie des Frauenhandels geriet – als wären sie von heute. In «Venus Noire» werden Sie nicht nur Zeuge, wie Sarah genötigt wird, vor Gericht zu behaupten, sie sei freiwillig in London. Der Tanz am Halsband ihres Menschenhalters sei Kunst. Sie sei Schauspielerin. Sie lernen ihr ganzes Umfeld kennen, ihren Menschenhalter, ihre Freundin, ihre Kunden.

Der Alkohol machte Sarah gefügig, bis der Körper sich verweigerte. Doch führt unsere Reise uns weiter: Als Kranke wurde Sarah von ihrem Menschenhalter nach Paris weiterverkauft. Erst schien es, sie mache damit einen gesellschaftlichen Schritt in bessere Kreise: Tatsächlich durfte sie sich in Paris der gehobenen Gesellschaft zur Schau stellen. Jedoch, auch gehobene Männer handelten mit Frauen nicht zum anschauen.

Sklavenhandlungsreisende in London, Paris und – Basel?

Wer mit «Venus Noire» reisen will, wird mehr zu erzählen haben, als gewöhnliche Heimkehrerinnen. Die Reise fordert nämlich viel von ihrem Gemüt. Sie dürfen sehr nah und nicht immer nur auf harten Bänken an den Exzessen teilnehmen. Geniessen Sie also die feinfühlige Figurenführung von Abdellatif Kechiche, der grossartige Schauspieler (allen voran die Venus selbst: Yahima Torres) sinnlich ins Bild setzt.

Nach all den wilden Reisezielen werden Sie froh sein, wenn Sie nicht den Rest des Lebens in der fernen Zeit verweilen müssen. Jedoch, auch wenn sie vom fernen Ort zurückgekehrt sein werden –  wieder in Basel angekommen, liegt die Zeit doch nah: Auf der Schweizerischen Landesausstellung im Sommer 1896 in Genf war z.B. ein Village noir mit 230 Sudanesen zu sehen, die der Kälte zum Trotz in Lehmhütten hausten. John George Hagenbeck spricht in seinen Erinnerungen von einer aussergewöhnlich guten Tagesgage von Fr. 12. 50 pro Tag. Im Basler Zoo waren bis 1932 Völkerschauen zu sehen. Hinter Zäunen. Die Neugier der Bevölkerung war derart gross, dass 1922 gar Polizei eingesetzt werden musste, weil der Mob über den Zaun kletterte, hinter dem die Sudanesen zur Schau gestellt wurden.

 

 

Als feine Petitesse für Zeitreisende zum Schluss: Karl Küchlin entwickelte aus den Völkerschauen sein eigenes Konzept eines Varieté-Theaters, das Küchlin eben … Der Film läuft zur Zeit in Basel im Camera.

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