Kosovos Spitzensportler dürfen in Rio de Janeiro erstmals unter eigener Flagge starten. Das Land ist seit erst 2014 offizielles Mitglied des Internationalen Olympischen Komitees.
Je eine Leichtathletin und ein Leichtathlet, je ein Schwimmer und eine Schwimmerin, zwei weibliche Judokas, ein Radfahrer und eine Schützin gehen in Brasilien für den Olympia-Neuling, der sich vor acht Jahren für unabhängig erklärt hat, auf Medaillenjagd. «Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal erleben werde», sagte 800-m-Läufer Musa Hajdari. «Das ist für uns eine grosse Verantwortung. Wir versuchen natürlich, unser Bestes zu geben.»
Zusammen mit seiner Kollegin Vijona Kryeziu, die über 400 m antreten wird, ist er in den Wäldern laufen gegangen. Es fehlt in einem der ärmsten Länder Europas an Infrastruktur und einem entsprechenden Stadion. «Die Bedingungen sind nicht wirklich gut», so Kryeziu.
Das hindert die kleine kosovarische Fraktion aber nicht daran, vieles mit Willen wettzumachen. «Ich muss der jungen Generation in meinem Land zeigen, dass die Anzahl Probleme, die wir haben, ebenso wenig eine Rolle spielt wie die geringe Grösse oder die Armut des Landes. Man muss hart arbeiten, aber vor allem an sich glauben», sagte Judoka Majlinda Kelmendi. «Ich will zeigen, dass der Kosovo nicht nur ein Land mit einer Kriegs-Vergangenheit ist. Er hat eine gute Seite, jene der Jungen, die Sport machen, die erfolgreich und kreativ sein können.»
Kelmendi über allen
An den Krieg hat Kelmendi nur vage Erinnerungen, etwa jene an die Soldaten und Polizisten, die ins Haus ihrer Familie kamen. «Jetzt verstehe ich, weshalb diese Zeit für meine Eltern derart hart war.» Die Vorzeige-Kämpferin kümmert sich nun finanziell um Vater und Mutter, die wie ein Drittel der Bevölkerung ohne Arbeit sind. «Nur weil ich Weltmeisterin bin und vieles gewonnen habe, heisst das noch lange nicht, dass ich auf die Leute herabschauen soll», sagte die gläubige Muslima.
Ihr nimmt man diese Aussagen ohnehin ab wie keiner anderen. Die 25-Jährige besitzt im Kosovo Heldenstatus. Sie ist seit Sonntag die erste Olympiasiegerin des Landes, zweifache Welt- und Europameisterin im Judo und die beste sportliche Repräsentantin des Landes. Kelmendi führt in der Kategorie bis 52 kg die Weltrangliste nach überragender Bilanz zwischen den Olympischen Spielen 2012 und 2016 (nur vier Niederlagen in 102 Kämpfen) ebenso an wie die kosovarische Delegation an der Eröffnungsfeier im Maracanã als Fahnenträgerin. Vor vier Jahren in London kämpfte Kelmendi noch für Albanien; in London schied sie in der 2. Runde aus.
Dem Druck standgehalten
Aufgrund von Kelmendis aktueller Form waren die Hoffnungen der rund 1,8 Millionen Einwohner des Kosovo auf Edelmetall ihres nationalen Superstars entsprechend gross. «Es gibt ungefähr 80 Länder, die in der Geschichte der Olympischen Spiele noch keine Medaille geholt haben», sagte Besim Hasani, der Chef des Nationalen Olympischen Komitees. «Wir sind voller Hoffnung, dass es klappt.» Schon am ersten Wochenende der Sommerspiele 2016 scheint der Kosovo nun auf dem ewigen Olympia-Medaillenspiegel auf: mit Gold durch die wichtigste Sportlerin des Landes.