Kraftvoll, humorvoll, berührend

So kraftvoll, so berührend und humorvoll, so direkt und glaubwürdig, wie «Romeo und Julia» von der Multikultitruppe der Volksbühne Basel im Saal des Kleinbasler Restaurants Zum Alten Warteck auf die Bühne gebracht wird, trifft das Stück mitten ins Herz. Am Schluss sitzt das zierlich-kraftvolle Mädchen ganz alleine da, den lächelnden Blick dem Publikum zugewandt. Dabei […]

Romeo (Yasin El Harrouk) und Tybalt (Robert Baranowski) im folgenschweren Clinch

So kraftvoll, so berührend und humorvoll, so direkt und glaubwürdig, wie «Romeo und Julia» von der Multikultitruppe der Volksbühne Basel im Saal des Kleinbasler Restaurants Zum Alten Warteck auf die Bühne gebracht wird, trifft das Stück mitten ins Herz.

Am Schluss sitzt das zierlich-kraftvolle Mädchen ganz alleine da, den lächelnden Blick dem Publikum zugewandt. Dabei ist Julia doch soeben vom wütenden Vater verstossen worden, hat ihr die Mutter die kalte Schulter gezeigt, die vertraute Amme eben erst geraten, halt doch den ungeliebten Paris zu ehelichen, weiss sie doch, dass Romeo in die Verbannung geschickt und zum Ziel von Rachefeldzügen ihrer Familie wurde. Und doch lächelt sie und sagt, dass man sich so oft überlegt habe, wie das Stück, das ihr eigentlich ein trauriges Ende bereitet, enden solle: «Sterben, das geht ja wohl nicht.»

Nun ja, gestorben wird auch in der hier besprochenen Inszenierung der Mutter aller grossen Liebestragödien. Wir wissen, seit wir «Die ganz vorzügliche und höchst beklagenswerte Geschichte von Romeo und Julia», wie Shakespears Werk im Original heisst, gelesen haben, seit wir es als Hollywood-Streifen, als Musical-Adaption, als Ballett, als Oper oder «auf dem Dorfe» gesehen haben, dass es nicht gut kommt. Dass da nicht nur Feinfühligkeit, sondern auch sehr viel Feindseligkeit im Spiel ist, dass Tybalt im Kampf das Leben von Mercutio und Romeo das von Tybald auslöscht.

Eine bunte Truppe

Was wir aber vielleicht nicht mehr so genau wissen, ist, wie humorvoll und geistreich witzig der Text ist. Der von Shakespeare. Den Text, den die Laien und Profis mit kurdischem, marokkanischem, türkischem, schweizerischem oder von wo auch immer Hintergrund sprechen. «Selam Habibi», was in etwa mit Hallo Geliebter übersetzt werden könnte, ist ganz und gar die grosse Liebesgeschichte und kein daraus adaptierter Kampf der Kulturen nach dem Muster Schweizer gegen Imigranten, arm gegen reich oder so.

Natürlich sind Romeo und Julia hier nicht Sprösslinge von Veroneser Adelsfamilien, sondern Jugendliche aus der multikulturell geprägten Stadt von heute. Aus dem Kleinbasel zum Beispiel, wo das Stück ja auch aufgeführt wird. Regisseurin und Mitbegründerin der Volksbühne Basel, Anina Jendreyko, hat eine schön bunte Truppe zusammengestellt. So bunt wie die Bevölkerung im Kleinbasel. Junge Menschen vor allem, aber auch ein paar ältere – halt dem Personenregister von «Romeo und Julia» entsprechend –, die voller Energie und Kraft, voller Aggressionen und Liebessehnsucht sind. Und die im Identitätskonflikt stecken, ausgehend von ihrem Dasein im interkulturellen Raum zwischen Herkunft und neuer Heimat.

Frisch und berührend

Diese kulturellen Grenzüberschreitungen ziehen sich durch die ganze Handlung, die als grosses Fest beginnt: mediterrane Lebensfreude füllt das typisch schweizerische Restaurant-Säli mit schmutzig-verrauchtem Deckengewölben, von denen gusseiserne Kerzenleuchter herunterhängen. Und zur kurdischen Musik (mit Stargast Süleyman Çarnewa) legen die aufgedrehten Jungs fulminante Breakdance-Einlagen hin. Auch das Publikum, das zum Teil an Tischen quasi Mitten im Geschehen sitzt, wird mit einbezogen. Wasser wird serviert, zusammen mit Oliven, Käsehäppchen und Teigtaschen. Und für kurze Momente fühlt man sich tatsächlich beinahe als Zaungast bei einem richtigen Fest und nicht mehr unbedingt als Theaterbesucher.

Das liegt sicherlich zu einem grossen Teil daran, dass der Theaterabend auf jegliche Künstlichkeit oder ironische Distanziertheit verzichtet. Die Menschen wirken so echt, ihr Auftreten ist so ungekünstelt, als seien sie tatsächlich eben erst von den Kleinbasler Strassen ins Säli hineingeschneit. Bei der ersten Begegnung von Romeo (Yasin El Harrouk) und Julia (Zeynep Yaşar) wird die Aura der so rasch aufkeimenden grosse Liebe beinahe körperlich spürbar. Wenn die testosterongeladenen Jungs Tybalt (Robert Baranowski), Mercutio (Musa Küsne), Benvolio (Birkan Cam) und Romeo miteinander rumalbern und schliesslich aufeinanderprallen, sprechen sie zwar Shakespeares Text, der aber wie die Sprache der Jugendlichen von heute rüberkommt.

Ein eindrücklicher Neubeginn

Die Volksbühne Basel ist aus den transkulturellen Schultheaterprojekten «fremd!?» heraus entstanden. Mit «Selam Habibi» hat das neue Theater einen eindrücklichen Einstand hingelegt. Es ist, wie der Begriff «Volksbühne» anklingen lässt, nicht die grosse erhabene Bühnenkunst, die angestrebt wird, sondern der gelungene Versuch möglichst viel möglichst echtes Leben von der wirklichen Aussenwelt in den Kunstraum Theater hineinzutragen.

 

«Selam Habibi»
«Die ganz vorzügliche und höchst beklagenswerte Geschichte von Romeo und Julia»
Von William Shakespeaere
Regie: Anina Jendreyko, Musikalische Leitung: Süleyman Çarnewa, Ausstattung: Pia Gehriger, Kostüme: Božena Civic, Nicole Müller, Produktionsleitung: Pascal Moor
Mit: Zeynep Yaşar, Yasin El Harrouk, Ferhat Feqî, Carmen Dalfogo, Robert Baranowski, Verena von Behr, Farhad Payar, Musa Küsne, Birkan Cam, Nadim Jarrar, Jack Ondoua, Petrit Bahtiri, Süleyman Çarnewa, Elif Gölgeli, Ayşe Onurlu, Arjin Haki, Umut Yilmaz
Eine Produktion der Volksbühne Basel
Im Schalandersaal des Restaurants Zur Alten Warteck
Die nächsten Vorstellungen: 19.– 23. März 2013

(Video: Volksbühne Basel)

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