Im Schweizer Gesundheitssystem gibt es keinen Systemwechsel. Volk und Stände haben die Initiative «für eine öffentliche Krankenkasse» deutlich abgelehnt: 61,9 Prozent der Stimmenden sagten Nein zum Volksbegehren. Deutsch- und Westschweiz waren aber gespalten.
Rund 1’512’000 Personen lehnten die Initiative ab, 933’000 legten ein Ja in die Urne. Auf Zustimmung stiess die Initiative in der Westschweiz. Vier Kantone sagten Ja, am deutlichsten der Kanton Jura mit 63 Prozent, gefolgt von Neuenburg mit 60,3 Prozent, Genf mit 57,4 Prozent und Waadt mit 56,2 Prozent.
Ein knappes Nein resultierte im Kanton Freiburg mit 50,3 Prozent Nein-Stimmen. In den Kantonen Basel-Stadt (55 Prozent Nein) und Tessin (55,6 Prozent) genoss die Initiative ebenfalls Sympathien. Am deutlichsten verworfen wurde sie im Kanton Appenzell-Innerrhoden mit 81,7 Prozent Nein-Stimmen. Auch in Nidwalden, Obwalden, Schwyz, und Zug lag der Nein-Stimmen-Anteil bei über 75 Prozent.
Das Volksbegehren schnitt am Abstimmungssonntag schlechter ab als in der letzten SRG-Umfrage. Dass Gesundheitsminister Alain Berset kurz vor der Abstimmung den Prämienanstieg für das kommende Jahr bekannt gab, scheint der Initiative also keinen Auftrieb verliehen zu haben.
Die Initiative «für eine öffentliche Krankenkasse» schnitt aber besser ab als die Initiative «für eine soziale Einheitskrankenkasse», die das Volk 2007 mit 71,2 Prozent abgelehnt hatte. Diese und frühere Einheitskasseninitiativen gingen allerdings weiter als die aktuelle Vorlage. Sie sahen neben einer Einheitskasse einkommens- und vermögensabhängige Prämien oder eine Finanzierung mit Steuern und Lohnabzügen vor.
Wettbewerb in der Grundversicherung
Diesmal hatten die Stimmberechtigten nur darüber zu befinden, ob für die Grundversicherung eine öffentlich-rechtliche Krankenkasse mit kantonalen Agenturen eingerichtet werden soll. Beim einem Ja hätte es in jedem Kanton einheitliche Prämien gegeben, die sich nach den Kosten im jeweiligen Kanton gerichtet hätten.
Die 61 privaten Kassen hätten nur noch Zusatzversicherungen anbieten dürfen. Mit dem Nein von Volk und Ständen bleibt es nun beim Wettbewerb zwischen den Kassen, auch in der obligatorischen Grundversicherung. Wie hoch die Prämien sind, hängt weiterhin nicht nur vom Wohnort, sondern auch vom Geschäftsmodell und dem Versichertenbestand der Kassen ab.
Teuer und schädlich
Einen Systemwechsel wünschten sich SP, Grüne, die EVP und die CSP sowie einige Berufsverbände, Patientenstellen und Konsumentenorganisationen. Der Wettbewerb unter den Kassen sei schädlich und teuer, argumentierten sie. Er führe dazu, dass sich die Krankenkassen gegenseitig junge und gesunde Versicherte abjagten, während sie alte und kranke abwimmelten. Kassenwechsel und Werbung verursachten hohe Kosten.
Gegen die Initiative kämpften die bürgerlichen Parteien sowie die Krankenkassen und die Wirtschaftsverbände. Sie warnten ihrerseits vor steigenden Kosten und sinkender Qualität. Im Ausland hätten öffentliche Krankenkassen grosse Schuldenberge angehäuft und zu einer schlechten medizinischen Versorgung geführt.
Gegenvorschlag kam nicht zustande
Auch Gesundheitsminister Alain Berset, der bei dieser Vorlage gegen die eigene Partei antreten musste, stellte in Abrede, dass sich mit einer öffentlichen Krankenkassen viel sparen liesse. Die Verwaltungskosten der Krankenkassen lägen lediglich bei rund 5 Prozent. Die Umstellung auf eine öffentliche Krankenkasse wäre dagegen mit Unsicherheiten und schwer abschätzbaren Kosten verbunden.
Ursprünglich hatte Berset einen Gegenvorschlag zur Initiative vorlegen wollen. Dessen Kernstück war eine Rückversicherung für die teuersten Patienten, die strikte Trennung von Grund- und Zusatzversicherung und eine Verfeinerung des Risikoausgleichs zwischen den Krankenkassen. Das Parlament wollte davon aber nichts wissen. Es verlangte, dass die Initiative rasch und ohne Gegenvorschlag vors Volk gebracht werden müsse.
Bessere Aufsicht über die Kassen
Ganz ohne Wirkung wird die Initiative dennoch nicht bleiben. Das Parlament hat in der Zwischenzeit einen verfeinerten Risikoausgleich beschlossen und kurz vor der Abstimmung das Krankenkassen-Aufsichtsgesetz gutgeheissen, wenn auch in abgespeckter Form.
Mit dem Aufsichtsgesetz erhält das Bundesamt für Gesundheit neue Eingriffsmöglichkeiten, darunter eine griffige Handhabe gegen zu hoch oder zu tief angesetzte Prämien. Nicht durchgesetzt hat sich die geplante Aufsicht über Versicherungsgruppen.
Ungelöst bleibt auch das Problem der lästigen Werbeanrufe. Die Branche soll nach dem Willen des Parlaments selber tätig werden und eine Branchenvereinbarung abzuschliessen. Fest steht, dass die Krankenversicherung auf der politischen Agenda bleibt.