Der Entscheid des EU-Gipfels, 40’000 Flüchtlinge nur auf freiwilliger Basis auf die EU-Staaten zu verteilen, ist am Freitag auf Kritik gestossen. «Das ist ein grosses Problem für die Zukunft», sagte Belgiens Ministerpräsident Charles Michel in Brüssel.
Die stundenlange Sitzung der 28 EU-Regierungschefs in der Nacht auf Freitag sei «praktisch umsonst» gewesen, sagte Michel weiter. Der österreichische Kanzler Werner Faymann stiess ins gleiche Horn. Er kritisierte die mangelnde Solidarität einiger EU-Staaten. Und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagte mit Blick auf die vereinbarte Freiwilligkeit, nun müsse man schauen, «ob das System funktioniert».
Kritik kam von der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl und dem Flüchtlingshochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR). Ein UNHCR-Sprecher appellierte an die EU-Staaten, klare Zusagen zu machen, wie der Plan umgesetzt werden soll.
Positiv zeigte sich hingegen die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Sie begrüsste den Beschluss als «eine gute Botschaft.» Gleichzeitig fügte sie jedoch mit Blick auf die Differenzen hinzu: «Da wird noch viel Arbeit sein.»
Ihr luxemburgischer Amtskollege Xavier Bettel bezeichnete es als wesentlich, «dass wir einig sind». Die EU müsse Solidarität zeigen, und zwar «nicht nur bei Sonntagsreden». Wenigsten als «kleinen Schritt nach vorne» bezeichnete der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi den Gipfelbeschluss. Er sei «zufrieden».
Ausnahmen für Ungarn und Bulgarien
Die EU-Regierungen hatten in der Nacht auf Freitag beschlossen, 40’000 Flüchtlinge auf freiwilliger Basis aus Italien und Griechenland über die EU zu verteilen.
In den Schlussfolgerungen des EU-Gipfels heisst es zwar, dass sich alle EU-Staaten daran beteiligen sollen. Doch macht Grossbritannien in einer Fussnote klar, dass es sich an der Verteilung nicht beteiligen werde.
Man verständigte sich auch darauf, dass Bulgarien und Ungarn keine der Flüchtlinge bei dieser Verteilung aufnehmen müssten. «Diese beiden Länder unterliegen schon einem grossen Migrationsdruck und werden deshalb als Sonderfälle behandelt», sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk.
Während vor allem die osteuropäischen Staaten verbindliche Quoten vehement ablehnten, hatten Länder wie Deutschland und Österreich den EU-Kommissionsvorschlag verpflichtender Quoten unterstützt. Nach dem Gipfel-Entscheid kündigte am Freitag ein Sprecher des deutschen Innenministeriums an, dass Berlin 8000 Flüchtlinge aufnehmen werde.
Doch offenbar zeigte der heftige nächtliche Streit im Kreis der EU-Chefs Wirkung. So sagte der estnische Ministerpräsident Taavi Roivas am Freitag zu, mehr Flüchtlinge als geplant aufzunehmen – die Rede ist neu von «mehreren Hundert».
Schweiz will definitive Vorlage prüfen
Nach Angaben von Diplomaten kann die Verteilung der Flüchtlinge jedoch frühestens im Spätsommer beginnen. Denn noch muss geklärt werden, wie die Flüchtlinge genau verteilt werden sollen.
Damit werden sich voraussichtlich die EU-Innenminister an ihrem Treffen am 9. Juli befassen. Aus Diplomatenkreisen hiess es, man müsse mit einer langen Sitzung rechnen. «Die Innenminister werden das Verfahren bis Ende Juli abschliessend klären», sagte Tusk. Bis dahin sollen in Italien und Griechenland Aufnahmelager – so genannte «Hotspots» – entstehen, wo Flüchtlinge registriert und identifiziert werden.
Die Schweiz, die via Schengen/Dublin-Abkommen teilweise an der Migrations- und Flüchtlingspolitik der EU beteiligt ist, ist laut EU-Kommission nicht zur Aufnahme von Flüchtlingen durch das Umverteilungsprogramm verpflichtet. Sie sei aber «eingeladen, sich daran zu beteiligen».
Der Zuteilung von Flüchtlingen via Quoten steht die Schweiz grundsätzlich positiv gegenüber. Ziel muss laut Staatssekretariat für Migration «eine gerechte Verteilung bei der Aufnahme von Asylsuchenden sein».
Doch erst wenn sich die EU-Staaten geeinigt hätten, werde die Schweiz prüfen, wie sie sich am Umverteilungsprogramm beteiligen werde, sagte Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga nach dem letzten EU-Innenministertreffen Mitte Juni.