Kritiker machen mobil gegen Islam als Landeskirche

Soll der Islam Landeskirche werden? Allein die Vorstellung treibt konservative Christen auf die Kanzel. Selbst der Basler Bischof ist über die Schärfe einzelner Aussagen irritiert.

«Tag der offenen Moschee» in der Mahmud Moschee in Zürich (2009). Gemäss EDU-Präsident Roland Herzig-Berg stimmt dieser Aushang nicht. (Bild: STEFFEN SCHMIDT)

Soll der Islam Landeskirche werden? Allein die Vorstellung treibt konservative Christen auf die Kanzel. Selbst der Basler Bischof ist über die Schärfe einzelner Aussagen irritiert.

Es braucht nicht viel, und der Funke springt, die Glut glimmt auf. Die Verteidiger eines unversöhnlichen Christentums beginnen wieder zu zünseln. Der Röschenzer Pfarrer Franz Sabo in der «Basellandschaftlichen Zeitung», Walter Ziegler, Präsident der römisch-katholischen Synode Basel-Stadt, in der «Basler Zeitung». «Der Islam ist mit Abstand die gewalttätigste und intoleranteste Weltreligion», meinte Sabo. «Solange eine Bewegung Gewalt als Instrument gutheisst, kann sie nicht Teil unserer Kultur werden», sagte Ziegler.

Die katholischen Hardliner aufgebracht hat die Ankündigung der islamischen Verbände Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz (Fids) und Koordination Islamischer Organisationen Schweiz (Kios), die öffentliche Anerkennung ihrer Religionsgemeinschaften anzustreben. Das Fernziel: Sie wollen – irgendwann – den christlichen Landeskirchen gleichgestellt sein.

Der Weg ist lang und zugebaut

«Die Anerkennung des Islams als gleichberechtigte Religion liegt uns am Herzen», sagt Kios-Präsident Farhad Afshar. Grundlage dafür ist ein neues Gutachten von Luzerner Kirchenrechtlern, die im Auftrag der Verbände überprüft haben, wie aus rechtlicher Sicht der Weg zu bestreiten wäre bis zur Anerkennung. Ihre Erkenntnis: Die Schweiz kann die Anerkennung aus rechtlichen Gründen nicht verwehren, wenn eine islamische Gemeinschaft die Voraussetzungen dafür erfüllt.

Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg. «Wir sprechen nicht von 10 Jahren, eher von 15 bis 20, bis es so weit ist», schätzt der Luzerner Islamwissenschaftler Andreas Tunger. Selbst dann dürften es im besten Fall wenige Kantone sein, die einer islamischen Gemeinschaft den Status einer Landeskirche verliehen haben. Auch das Kirchenrecht ist in der Schweiz dem Föderalismus unterworfen. Manche Kantone wie etwa Baselland müssten erst den Zaun einreissen, den sie hochgezogen haben, und die Gesetze ändern, damit eine nicht-christliche oder jüdische Vereinigung überhaupt den Versuch wagen kann. Der Weg ist nicht nur lange, er ist vielerorts bereits zugebaut.

Der Bischof distanziert sich

Dass sich bereits jetzt konservative katholische Gemüter anstellen, die Debatte abzuwürgen, stösst auch intern auf Kritik. TagesWoche-Leser Matthias Bertschinger hat den Basler Bischof Felix Gmür gebeten, Stellung zu nehmen zu den Äusserungen seiner Schäfchen Sabo und Ziegler. «Ich störe mich mit Ihnen an diesen pauschalisierten, undifferenzierten Aussagen», antwortete ihm Gmür.

Das Schreiben liegt der TagesWoche vor. «Es gibt keinen Zweifel – die Kirche unterstützt keine Aussagen, die die islamische Religionsgemeinschaft pauschal als gewalttätig bezeichnen», schreibt er weiter. Dabei stellt er auch auf den neuen Papst Franziskus ab, der in seinem ersten Lehrschreiben «Evangelii Gaudium» vor «gehässigen Verallgemeinerungen» warnt im Zusammenhang mit dem Islam: «Denn der wahre Islam und eine angemessene Interpretation des Korans stehen jeder Gewalt entgegen.»

«Die stehen gleich mit dem Messer da»

So richtig verfangen weder die deutlichen Worte aus Rom noch jene aus dem Bistumssitz in Solothurn. Synode-Präsident Ziegler erklärt auch auf Nachfrage, dass es für den Islam in der Schweizer Religionsfamilie keinen Platz frei habe am Esstisch der Erwachsenen: «Mag sein, dass es einzelne Kantone anders sehen, aber auch diese müssen auf die Bundesverfassung abstellen. Diese beginnt mit den Worten ‚Im Namen Gottes des Allmächtigen‘. Gott, der Allmächtige, nicht Allah, der Allmächtige.» Solange der Islam der Gewalt nicht abschwöre, müsse man über eine Anerkennung gar nicht erst diskutieren. Er habe seine Erfahrungen mit Muslimen gemacht, sagt Ziegler. Schon vor vielen Jahren sei ihm aufgefallen, «dass die bei einem Streit gleich mit dem Messer dastehen». Das ist kein anekdotisches Argument in seinen Augen: «In einer Religionsgemeinschaft summieren sich die Haltungen des Einzelnen auf.»

Man muss diese Aussagen nicht überbewerten, doch sie dürften das in der Schweiz fest verankerte Misstrauen gegenüber dem Islam zum Ausdruck bringen, von dem Georg Kreis in seinem Beitrag schreibt. Die Erringung der gesellschaftlichen Akzeptanz sehen auch die Luzerner Gutachter eng verknüpft mit der juristischen Frage. Dazu müssten sich die muslimischen Institutionen einbringen in den gesellschaftlichen Diskurs, in ethische und soziale Fragen. Sie müssen nachweisen, dass auch aus islamischer Sicht gesellschaftliche Probleme in der Schweiz diskutiert werden können, dass es die Stimme einer islamischen Kirche gibt – und es sie braucht. Nur dann könne ein Anspruch auf Anerkennung geltend gemacht werden.

Das Ziel ist die «kleine Anerkennung»

Das könne beispielsweise über islamischen Religionsunterricht an den Schulen geschehen. Derartige Projekte sind in der Schweiz bislang nirgends über eine Vorprüfung hinausgekommen. Dafür verantwortlich ist auch, dass es die heterogene muslimische Gemeinde nicht fertigbringt, sich auf gemeinsame Lehrinhalte zu einigen.

Die Muslime in der Schweiz unterscheiden sich stark von einander. Das ist ein Hindernis auf dem Weg zur Landeskirche.

Die fehlende Struktur gilt als eines der grossen Hindernisse auf dem Weg zur Landeskirche, zu deren Privilegien es gehört, von ihren Mitgliedern Steuern einzuziehen. Nur 20 Prozent aller Muslime in der Schweiz sind organisiert. Die Dachverbände haben eine geringe Repräsentationskraft. «Der Islam ist in der Schweiz eine Migrationsreligion», sagt Kios-Präsident Afshar. Die Muslime würden aus den unterschiedlichsten Kulturen und Nationen stammen. Ihre Moscheen unterhalten oft engere Bande zur Mutterorganisation in der Heimat als zum Dachverband. Auf das Gutachten gestützt, wollen die beiden Verbände deshalb zügig eine kirchliche Struktur schaffen, mit basisdemokratischen Prinzipien, ganz wie es für eine Anerkennung nötig ist. Erst danach soll in einem geeigneten Kanton ein Gesuch um Anerkennung platziert werden.

Am ehesten kommt Basel-Stadt dafür infrage, weil die Verfassung einen Zwischenschritt zur landeskirchlichen Anerkennung zulässt, die sogenannte «kleine Anerkennung», die vor allem symbolischen Charakter hat. Dass zwei alevitische Gemeinschaften sowie die Neuapostolische Gemeinde diese bereits vom Grossen Rat erhalten haben, spricht ebenfalls für Basel.

Erst mal gründlich diskutieren

Wird ein Gesuch gestellt, überprüft das zuständige Finanzdepartement, ob es die Anforderungen erfüllt. Die Behörden prüfen dabei nicht Glaubensinhalte, sondern Faktoren wie Respekt des Religionsfriedens und der Rechtsordnung, ob die Finanzverwaltung transparent ist und Mitglieder die Möglichkeit haben, jederzeit auszutreten. Auch der Zugang von Frauen zu kirchlichen Ämtern, ist ein Kriterium – wobei gerade die katholische Kirche beweist, dass hier offenbar Spielraum besteht.

Serhad Karatekin, Sekretär der Basler Muslim Kommission (BMK), der 20 Vereine angeschlossen sind, bestätigt auf Anfrage, dass in Basel ein Gesuch eingereicht werden soll. Der Zeitpunkt stehe aber noch nicht fest: «Zunächst muss ein gründlicher nationaler innerislamischer Diskurs stattfinden.» Das Basler Musterbeispiel könnte danach in anderen Kantonen übernommen werden. Islamwissenschaftler Tunger rechnet damit, dass die «kleine Anerkennung» in ein paar Jahren möglich ist.

Was Christen und Muslime verbindet

Die Basler Koordinatorin für Religionsfragen Lilo Roost Vischer begrüsst die Bemühungen der BMK: «Ich teile die Schlussfolgerungen des Luzerner Gutachtens, dass die Nichteinbindung von grösseren Religionsgemeinschaften langfristig Probleme schafft. Das Gebot der Gleichbehandlung ist in unserem Rechtsstaat entscheidend. Aber es braucht noch viel Zeit für die kantonale Anerkennung von islamischen Organisationen.»

Die Frage ist allerdings, ob die Einbindung einer islamischen Religionsgemeinschaft überaupt etwas mit der Lebensrealität der Muslime in der Schweiz zu tun hat: Gerade mal 10 bis 15 Prozent gelten als praktizierende Muslime. Damit sehen sich die organisierten Muslime einem ähnlichen Problem gegenübergestellt wie die Christen: Ihre Bedeutung in der schweizerischen Gesellschaft ist gering.

Auf diese Gemeinsamkeit weisen auch die Luzerner Kirchenrechtler hin. Den Kritikern in christlichen Kreisen wird nahegelegt, ihre langfristigen Interessen im Auge zu behalten. Die Sonderstellung als Landeskirche lässt sich nur so lange aufrechterhalten, wie sie einen genügend grossen Teil der Bevölkerung abbildet. Am Schluss kämpfen sowohl Muslime wie auch Christen gegen das gleiche Problem: die Erosion der Religion in der Schweiz.

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