Kultur des Kopierens = Kultur der Freiheit

Review zu „Mashup – Lob der Kopie“ von Dirk von Gehlen (2011) // Die Debatte um eine Anpassung des Urheberrechts an die digitalen Bedingungen ist in vollem Gange: In Deutschland spätestens seit 2011, als die Piratenpartei bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus Berlin in das erste Landesparlament einzog. Die Wutrede des Musikers und Schriftstellers Sven Regener über Raubkopierer, […]

Review zu „Mashup – Lob der Kopie“ von Dirk von Gehlen (2011) //

Die Debatte um eine Anpassung des Urheberrechts an die digitalen Bedingungen ist in vollem Gange: In Deutschland spätestens seit 2011, als die Piratenpartei bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus Berlin in das erste Landesparlament einzog. Die Wutrede des Musikers und Schriftstellers Sven Regener über Raubkopierer, die Musikern im Grunde „ins Gesicht pinkeln würden“, hat sie Ende März nur weiter angeheizt. Aber auch in der Schweiz dürfte Regener einige Zustimmung erfahren haben, zumindest in den Reihen der Mitglieder des im Januar 2012 gegründeten Vereins Musikschaffende Schweiz. Der Verein hat sich einer Verschärfung des rechtlichen und ökonomischen Status Quo in der Schweiz verschrieben und lehnt offiziell das von Nationalrat Bathasar Glättli angeregte alternative Entlohnungsmodell für Künstler, eine sogenannte Kulturflatrate, ab. (vgl. Statement Musikschaffende Schweiz und Wochendebatte der Tageswoche vom 8. Juni 2012).  

Mashup – Lob der Kopie von Dirk von Gehlen, erschienen 2011 in der edition suhrkamp. Es wird uns vorgestellt von Ania Mauruschat, wissenschaftliche Assistentin am Seminar für Medienwissenschaft der Universität Basel.

(Bild: cover)

Wovon handelt das Buch? Dirk von Gehlen ist Leiter der Abteilung “Social Media/Innovation” bei der Süddeutschen Zeitung in München und verfolgt seit vielen Jahren die Entwicklungen im Bereich der digitalen Kultur. „Mashup – Lob der Kopie“ ist so etwas wie Summe seiner Erkenntnisse zum Wert des Kopierens und Remixens für eine freie Kultur im 21. Jahrhundert.

Das heisst? „Mashup“ ist eine entschiedene Streitschrift zur Verteidigung des Kopierens als existentielle menschliche Praxis, die seit jeher von unseren Genen genauso wie von Künstlern praktiziert wird. Zum Beleg seiner These führt Dirk von Gehlen nicht nur Gewährsmänner wie Gotthold Ephraim Lessing, Bertolt Brecht oder Walter Benjamin an, sondern druckt in seinem Buch auch sieben Interviews ab, die er zum Beispiel mit dem Musiker David Dewaele von Soulwax und mit dem in Harvard lehrenden Schweizer Juristen und Internetexperten Urs Gasser geführt hat.

Was sind wichtige Schlagworte? Original, Kopie und Mashup 

Nennen Sie eine zentrale These des Buches: Dirk von Gehlen ist keineswegs ein grundsätzlicher Gegner des Urheberrechts, sondern setzt sich für eine wohlüberlegte, der durch die Digitalisierung veränderten Realität Rechnung tragende, und verantwortungsbewusste Reform ein.
Aber natürlich hat „Mashup“ auch keine einfache Antwort auf die vertrackte, juristische Debatte um die Anpassung des Urheberrechts an die neuen, technologischen Gegebenheiten. Und auch wenn der Autor sich dazu bekennt, ein entschiedener Anhänger einer Kulturflatrate (als einem von vielen, alternativen Finanzierungsmodellen für Künstler) zu sein: Es geht ihm nicht vorrangig um Geschäftsmodelle zur Finanzierung von Kunst im digitalen Raum. Was Dirk von Gehlen antreibt ist die Verteidigung der Möglichkeit der freien Meinungsäusserung, die er durch verkürzte Debatten um Urheberrechtsfragen gefährdet sieht. Denn, so seine Überzeugung, wer die Kopie einseitig als minderwertig gegenüber dem Original und als die Existenzgrundlage von Künstlern zerstörende Praxis verdammt, greift die Grundlagen einer freien Kultur an. Er oder sie redet damit nämlich oft, ob gewollt oder ungewollt, auch einer bedrohlichen Kriminalisierungsstrategie das Wort, die – meist jugendliche – Internetnutzer dafür bestraft, dass sie einfach nur das tun, was technologisch möglich ist: Immaterielle Güter wie digitale Töne, Bilder und Texte ins Netz hoch und wieder runter zu laden und je nach Bedarf zu remixen. In diesem Sinne versteht Dirk von Gehlen das „Mashup“ als eine Art Collage und somit als zentrale, zeitgenössische Form der Meinungsäusserung unter den Bedingungen des Digitalen.

Haben Sie einen Lieblingssatz? „Wir können nicht nicht kopieren.“ (S. 179) 

Gibt es Probleme mit dem Buch? „Mashup“ geht von der Situation in Deutschland aus, die sich zwar von der Situation in der Schweiz unterscheidet aber vergleichbar ist.

Warum sollte ich dieses Buch trotzdem lesen? Weil der Grundgedanke für beide Länder in gleicher Weise gilt, weil es ein  hervorragendes 50seitiges Glossar hat und weil es eine gigantische Fundgrube an Zitaten und Verweisen ist.

Woran erinnert Sie das Buch? An Bücher wie zum Beispiel Free Culture (2004) des US-amerikanischen Juristen Lawrence Lessig oder Reality Hunger (2010) des US-amerikanischen Autors David Shields. Dirk von Gehlen überträgt ihre Gedanken jedoch gekonnt auf den deutschsprachigen Raum und gibt so den Debatten in Deutschland und der Schweiz wichtige, neue Impulse und Denkanstösse.

Ania Mauruschat empfiehlt zum weiterlesen, den Blog von Dirk von Gehlen Digitale Notizen
Und zum Weiterhören und -sehen die beiden folgenden Veranstaltungen:

Am 4. Juli 2012 um 19 Uhr spricht Dirk von Gehlen bei der Abendveranstaltung „Originalität in der Nachahmung“ mit Wolfgang Ullrich über Remix, Reproduktion und Referenz.
Dies im Rahmen der der Ausstellung Déjà-vu? Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis YouTube
Ausstellungsort: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe
Dauer der Ausstellung: 21. April – 5. August 2012

Und nach den Sommerferien, am 22. August um 20 Uhr in Zürich:
Das Lob der Kopie. Ein Abend mit Dirk von Gehlen und Philipp Meier
Im Rahmen von digitalbrainstorming in Zusammenarbeit mit Cabaret Voltaire

 

 

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