Kultwerk #102: Otto e mezzo

Vor fünfzig Jahren verfilmte Federico Fellini mit «Otto e mezzo» die Nöte eines Filmregisseurs in der Schaffenskrise.

Ganz klein mit Hut: Marcello Mastroianni als überforderter Regisseur in «Otto e mezzo». (Bild: Cinetext Bildarchiv)

Vor fünfzig Jahren verfilmte Federico Fellini mit «Otto e mezzo» die autobiografischen Nöte eines Filmregisseurs in einer Schaffenskrise. Dafür wurde der Italiener mit einem weiteren Oscar belohnt.

Die Verwirrung steckte schon im Namen. Für seinen «achteinhalben» Film – nach sechs Spielfilmen, zwei Episodenbeiträgen und einer Co-Regie – hatte Federico Fellini ursprünglich den Titel «La bella confusione» vorgesehen: das schöne Durcheinander. Denn davon handelte der Film, der nach einer fünfmonatigen klaustrophobischen Produktionszeit in der römischen Filmstadt Cinecittà – Fellini soll muskelbepackte Türsteher vor den Pforten postiert und den Kameramännern vertragliches Schweigen abgenötigt haben – vor fünfzig Jahren in die Kinos kam: von der grossen Verwirrung zwischen Traum und Realität, zwischen Ideal und Alltag, zwischen Zwang und Flucht. Und, darauf gab der endgültige Filmtitel einen numerologischen Hinweis, auch von Fellini selbst.

«Otto e mezzo», Achteinhalb, erzählt die Geschichte des Regisseurs Guido Anselmi (Marcello Mastroianni), der einen Raketenfilm fertigstellen muss und ihn nicht hinkriegt: Schaffenskrise, ungeduldige Produzenten und Schauspielerstars, eine Ehe auf dem Weg in die Brüche, eine Geliebte, die Zuwendungen will. Zuviel für Anselmi, er verreist in einen Kurort, wo er einzig in seinen Tagträumen der totalen Krise zu entfliehen vermag. Dort verarbeitet er die Vergangenheit, den fordernden Vater und die gescheiterten Ideale der Jugend. Dabei ersinnt er sich auch eine Fantasiewelt, in der ihm die schönsten Frauen haremsgleich zu Füssen liegen.

Im ganzen Durcheinander findet der Regisseur zuletzt sich selbst und seinen Frieden.

Am Ende, nach einem Versuch, sich mittels Suizid aus der Realität in Gestalt drängender Reporter zu winden, findet Anselmis Film doch noch eine wundersame Wendung: als eine Art Gala der Widersprüche und Unschlüssigkeiten, die Anselmis zerrütteten Geist auf Trab halten und die als Diven und Gaukler, Frauen und Priester, Gestalten aus seiner Kindheit und Komparsen vom Filmset zwischen dem 70 Meter hohen Gestänge einer Raketenrampe umherwandeln. Ein ganz und gar wunderbares Durcheinander, in dem Anselmi sich selbst und seinen Frieden findet.

Diese dreidimensional aufgefächerte Künstlerexistenz trägt, der Filmtitel deutet es an, zumindest partiell die biografischen Züge Fellinis. Zum Zeitpunkt von «Otto e Mezzo» ist der Regisseur im selben Alter wie seine Figur Anselmi (43) und steckt nach dem Grosserfolg von «La dolce vita» ebenfalls in einem Schaffenstief. Und auch wenn Fellini sich nie derart in seine Arbeit dreinreden liess wie sein filmisches Alter Ego, erlaubt dieses «Otto e mezzo» dennoch einen Blick in die Psyche des Regisseurs: als ein «Mittelding zwischen einer unzusammenhängenden psychoanalytischen Sitzung und einer etwas planlosen Gewissenserforschung» hat Fellini das stellenweise absurd-komische Porträt eines Verzweifelten genannt. Es sollte ihm, in der Sparte bester fremdsprachiger Film, einen weiteren Oscar einbringen.

Federico Fellini

Der 1920 in Rimini geborene Fellini gilt als einer der wichtigsten Regisseure des Autorenkinos. Bereits in den ersten zehn Regiejahren drehte er die Grosserfolge «La strada» und «La dolce vita». Nach «Otto e mezzo» wurde sein Werk unter dem Einfluss der Psychoanalyse von C.G. Jung narrativ sperriger und ästhetisch opulenter («Satyricon» oder «Roma»). Fellini erhielt fünf Oscars, einen für sein Lebenswerk, ebenso den Europäischen Filmpreis sowie den Goldenen Ehrenlöwen der Filmfestspiele von Venedig. Fellini starb vor zwanzig Jahren, am 31. Oktober 1993, an einem Herzleiden.

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