Kultwerk #106: White Album

Vor 45 Jahren brachten The Beatles ihr weisses Album heraus. Mit den 30 Songs deckten sie ein unglaublich breites Stilspektrum ab.

Vor 45 Jahren brachten The Beatles ihr weisses Album heraus. Mit den 30 Songs deckten sie ein unglaublich breites Stilspektrum ab.

Wenn vom genialen Spätwerk der Beatles die Rede ist, dann wird dieses hier oft von «Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band» und «Abbey Road» überschattet. Vielleicht, weil es ein Doppelalbum ist und durch seine stilistische Heterogenität nicht so leicht fassbar. Dabei birgt es eine beneidenswerte Fülle an Klassikern: von der kindlichen Spassnummer «Ob-La-Di, Ob-La-Da» über den Blues bis zum schweren Rock von «Helter Skelter».

Allein mit der optischen Erscheinung setzten die Beatles einmal mehr einen Standard: Nach der bunten Collage von «Sgt. Pepper’s» überraschten sie mit einem monochromen Cover von Richard Hamilton, das einzig mit dem eingeprägten, kaum sichtbaren Bandnamen versehen war. Ein starker Kontrast zur 1968 angesagten Pop-Art. Die Fans sprachen sogleich vom «weissen Album», was zahlreiche Musiker – von Metallica bis Danger Mouse – zu ähnlich monochromen Statements inspirierte.

Lust am Experiment

Weit weniger eintönig war die Musik. Die stilistische Vielfalt hatte mehrere Gründe: Zum einen fühlten sich die Beatles durch ihre spirituelle Reise nach Indien ermutigt, auch musikalisch vermehrt zu experimentieren. Besonders stark manifestierte sich das in der Tonbandcollage «Revolution 9» oder dem saloonesken Ragtime von «Honey Pie». Zum anderen schrieben sie viele der 30 Songs unabhängig voneinander, was den Musikjournalisten Lester Bangs zur Aussage veranlasste, dieses Album sei das erste in der Rockgeschichte, das vier Solomusiker in einer Band schufen.

Tatsächlich machten sich 1968 erste Risse bemerkbar. Schlagzeuger Ringo Starr fühlte sich wie das fünfte Rad am Wagen, klinkte sich aus und jettete nach Sardinien statt ins Studio. Die anderen nahmen deshalb einige Songs ohne ihn auf, drängten ihn aber zur Rückkehr. Als er einlenkte, durfte er zur Belohnung erstmals einen eigenen Song beisteuern: «Don’t Pass Me By», einen schaukelnden Countryrocksong. Zugegeben, kein Highlight auf dem Weissen Album. Da finden sich viel bemerkenswertere Lieder, etwa das vielschichtige «Happiness Is A Warm Gun», das hypnotische «Dear Prudence» oder das ultrazarte «Blackbird», mit dem akustische Gitarristen noch heute gerne ihre Liebste bezirzen.

So heterogenial, diese Mischung! Und selbst wenn man Produzent George Martin verstehen kann, der zugunsten der Konsistenz eine beschränktere Auswahl bevorzugt hätte: Man möchte keines der 30 Lieder dieses Doppelalbums missen. Nicht einmal jenes, das Ringo beisteuerte. Denn wenn man weiss, wie «Don’t Pass Me By» auch verstanden werden kann – dass er sich übergangen fühlte – dann bringt man es nicht übers Herz, den Song auszulassen.

Charles Manson

(Bild: Michael Ochs Archives)

Er hat das «Weisse Album» befleckt: Charles Manson, erfolgloser Folkmusiker und gewalttätiger Anführer einer kalifornischen Hippiekommune. Manson stiftete 1969 Mitglieder seiner «Family» dazu an, prominente Weisse – darunter die hochschwangere Schauspielerin Sharon Tate – umzubringen. Zuvor waren ihm die Beatles angeblich als Engel erschienen, aus Songs wie «Helter Skelter» glaubte er unterschwellige Botschaften herauszuhören und erteilte den Auftrag, ein mörderisches Chaos zu entfachen. Manson ist heute 79. Er entkam der Todesstrafe – sitzt aber noch immer im Gefängnis.

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