Kultwerk #120: Das schwarze Quadrat

Kasimir Malewitsch selbst nannte es Kultwerk, sein «Schwarzes Quadrat». Es sollte den Anfang einer neuen Kunst symbolisieren.

Ein Quadrat, das keines ist.

Kasimir Malewitsch selbst nannte es Kultwerk, sein «Schwarzes Quadrat». Es sollte den Anfang einer neuen Kunst symbolisieren.

Das von Kasimir Malewitsch gemalte «Schwarze Quadrat auf weissem Grund» ist tatsächlich gar kein Quadrat, sondern ein Viereck, wenn man ganz genau hinschaut. Die Seiten sind nicht exakt gleich lang, und sie sind nicht parallel zueinander. Das 79 auf 79 Zentimeter grosse Bild entstand 1915, und kein Maler zuvor hatte ein derart reduziertes und radikales Gemälde geschaffen. Malewitschs Bild war eine Provokation für die bestehende Kunstwelt. Mit ihm wurden die Uhren quasi auf null zurückgestellt – so lautete auch die Intention des russischen Künstlers. Er erfand damit eine neue Kunstrichtung, den Suprematismus.

Die Ausstellung, in der das Bild erstmals gezeigt wurde, trug den Titel «0.10». Die Null stand für die Geburtsstunde des Suprematismus, die Zehn für die Anzahl der teilnehmenden Künstler. Sie fand in der Galerie Dobytčina in St. Petersburg statt und war die letzte futuristische Ausstellung – oder aber die erste suprematistische Ausstellung überhaupt, wie man will.

Der Suprematismus sollte beim Betrachter die Empfindung der Gegenstandslosigkeit und der Leere evozieren. Er tat dies durch die Verweigerung von Ähnlichkeit: Jegliche Übereinstimmung mit sichtbaren Dingen war auszuschliessen. «Der Künstler kann nur dann ein Schöpfer sein, wenn die Formen seines Bildes nichts mit der Natur gemein haben», sagte Malewitsch. Oder, in anderen Worten: «Die Maler müssen das Sujet und die Gegenstände aufgeben, wenn sie reine Maler sein wollen.» Kopie, Nachahmung, die Reproduktion von Bestehendem hatten für den Russen keinen Wert. Diese Position war es, die in ihrer Radikalität seinerzeit bahnbrechend war.

Eine Ikone der Moderne

Malewitsch war überzeugt von der Wichtigkeit seines Schaffens. Das lässt sich nicht nur daran ablesen, dass er eine Geburtsstunde für seine Kunstrichtung fixierte. Sondern auch daran, dass er später diese Geburtsstunde vorverlegte – vom Jahr 1915, als er «Das Schwarze Quadrat» erstmals ausstellte, auf das Jahr 1913 nämlich. Damals hatte Malewitsch für die futuristische Oper «Sieg über die Sonne» Kostüme und Bühnenbild entworfen. Und auf beiden findet sich bereits ein schwarzes Quadrat.

Für den Künstler beinhaltet diese einfache geometrische Form viel mehr als nur ebendies. Schwarz und Weiss sind grenzenlose Farben. Sie können Leere evozieren ebenso wie Fülle. Für Malewitsch war es «kein leeres Quadrat, das ich ausstellte, sondern vielmehr die Empfindung von Gegenstandslosigkeit», so hielt er fest. Das Quadrat sah er nicht auf der weissen Ebene der Leinwand verankert, sondern schwebend. Es kann sich verschieben, drehen. Dreht es sich schnell, so entsteht daraus ein Kreis. Auf diese Weise leitete Malewitsch für seinen Suprematismus verschiedene Formen her, aus denen Gemälde konstruiert werden konnten – gänzlich ohne Gegenständlichkeit.

Malewitsch schuf mit dem «Schwarzen Quadrat» nicht nur ein Werk, sondern einen Kult. Und das mit Absicht. In der Ausstellung «0.10» hängte er es in die obere Ecke eines Raumes. In russischen Häusern hängen an dieser Stelle traditionellerweise die Ikonen. Das «Schwarze Quadrat» war seine Umsetzung davon.

Kasimir Malewitsch
1879 in Kiew geboren, liess sich der Russe Malewitsch zuerst von den französischen Spätimpressionisten, den Fauves oder den Kubisten beeinflussen, bevor er sich nach 1910 seiner eigenen Kunsttheorie, dem Suprematismus zuwandte. Damit wiederum beeinflusste er viele Künstler, lehrte sie auch eine Zeitlang, bis die stalinistische Ära begann und mit ihr die Ablehnung avantgardistischer Malerei. Malewitsch starb 1935 in Leningrad.

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