Kultwerk #44: Portishead

Vor 15 Jahren setzten Portishead ihrer unvergleichlichen Musique Noir ein Denkmal: In Cinemascope.

Von zeitlos schlichter Eleganz: Das Cover des zweiten Portishead-Werks. (Bild: zVg)

Vor 15 Jahren setzten Portishead ihrer unvergleichlichen Musique Noir ein Denkmal: In Cinemascope.

Portishead, das war ein verschlafenes, südenglisches Dörfchen am Meer. Bis eine gleichnamige Band 1994 «Dummy» veröffentlichte und damit wie eine Windbö alles wegfegte, was an Beschaulichkeit am Namen geklebt hatte: Mitte der 90er-Jahre gewann das zuvor völlig unbekannte Projekt sensationell den Mercury-Preis, führte fast sämtliche Jahresbestenlisten an und eroberte mit der ureigenen, unvergleichlich zartbitteren Schwermut eine Fangemeinde rund um den Globus. (Darunter übrigens auch die Schreibende, die damals in heiligem Ernst, mit Blut unterschrieben, verfügte, dass an der eigenen Beerdigung nichts anderes als Portishead laufen dürfe.)

Doch wer steckt hinter dem Projekt, das 20 Jahre nach seiner Gründung noch immer zu den Lieblingsbands vieler Musikaficionados und Melancholiker gehört? Der Legende nach haben sich der junge Produzent, DJ und Remixer Geoff Barrow und die Pubsängerin Beth Gibbons ursprünglich auf dem Bristoler Arbeitsamt kennengelernt. Vereint durch ihre Liebe zu Dance und Hip-Hop, Jazz und Film Noir sowie dem Wunsch, musikalisch etwas «Nachhaltiges» zu schaffen, experimentierten sie mit Kurzfilmen und Soundtrack-Musik – ein Element, das später stilbildend für den «typischen» Portishead-Sound werden sollte.

Nach dem für sie selbst völlig überraschenden Erfolg ihres Erstlings versuchten Portishead zunächst, vor den Geistern, die sie gerufen hatten, zu fliehen. Statt zu touren, machten sie sich rar, vergruben sich mit dem zur Band gestossenen Jazzgitarristen Adrian Utley im Studio, um ihren Stil, irgendwo zwischen Cool Jazz, Pop-Epik, Hip-Hop und Turntablism, zu perfektionieren. Währenddessen erhob man das Trio bereits – gemeinsam mit Massive Attack und Tricky – zu den «Bristol 3», den drei gefeierten Erneuerern britischer Musik und zu Botschaftern des «Trip Hop» – ein Etikett, das alle leidenschaftlich hassten.

Heraus kam schliesslich, vor genau 15 Jahren, der schlicht «Portishead» betitelte Zweitling. Schwarz wie die Nacht, bedrohlich orchestral, erfüllt mit lauter in die Irre führenden, selbstgefertigten Samples, klassisch wie der Titel zu einem alten Bond-Film und dennoch in seiner düsteren Klanglandschaft schlicht einzigartig.

Kurz: zu viel des Guten, sowohl für die überforderten Kritiker als auch für die Band selbst. Noch vor dem Ende ihrer Welttour (von der 1998 das gefeierte «Roseland»-Livealbum zeugt) war das Trio am Ende, erschöpft und ausgebrannt. Es dauerte 11 Jahre, bis sich die drei Eigenbrötler 2008 mit «Third» zurückmeldeten. Ein Mysterium sind sie noch immer geblieben. Zu Recht – wie ihre zeitlos gute Musik bis heute beweist.

Neues Album? Irgendwann! Schon seit Beginn entziehen sich Portishead den Medien: Bis zur Welttour 1998 schien unklar, wer eigentlich zur Band gehört, und Sängerin Beth Gibbons gibt prinzipiell keine Interviews. Darum sei die Info, dass Portishead zurzeit an neuem Material arbeiten, mit Vorsicht genossen – schliesslich sagte Bandmitglied Geoff Barrow selbst unlängst dem «Rolling Stone»: «That could mean another fucking ten years until release!»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 07.09.12

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