Feinsinniger Grusel: Die Entstehung des Horrorklassikers wird derzeit auch im Kino nacherzählt.
Hitchcocks «Psycho» ist jetzt über fünfzig Jahre alt und man ist heute noch nicht ganz entspannt, wenn man ihn zum ersten Mal schaut. Das fängt schon in der ersten Szene an: Eine lange Kamerafahrt führt aus der Vogelperspektive durch eine moderne Grossstadt bis zu einer heruntergelassenen Jalousie, hinter der es dunkel ist, dazu wird eine seltsam präzise Zeitangabe eingeblendet. Zuerst war die Aufnahme ohne Schnitt geplant, was allerdings schiefging. Und Hitchcock musste vorwärtsmachen, denn jeder Drehtag war kostbar.
Er war der Produktionsfirma Paramount laut Vertrag noch einen letzten Film schuldig. Diese wollte von der Geschichte um einen psychopathischen Serienmörder nichts wissen. Paramount wünschte sich leichte Muse, wie Hitchcock sie zuletzt 1959 in «Der unsichtbare Dritte» geliefert hatte. Darin wirkt das Abenteuer des eleganten Cary Grant wie ein Urlaubsausflug. Hitchcock aber wollte wieder Aufbruch und Wagnis. Für dieses Bestreben müssen Künstler bekanntlich selber einstehen, und so zahlte Hitchcock den Film aus eigener Tasche.
Jedenfalls, schon ab der ersten Szene hat man sein restliches Leben vergessen und bebt leise vor sich hin – gleich kann es passieren! Zwar kommt es anders, denn im ersten Dialog ist der Schauspieler John Gavin beteiligt, den Hitchcock später wüst beschimpfte für die Langweiligkeit seines Auftritts.
Geliebte Kolleginnen
Aber schon 30 Minuten später ist es so weit und die Hauptdarstellerin liegt tot in der Badewanne. Psycho, oder? Und schade eigentlich. Janet Leigh hatte die Kette von blondhaarigen Frauen fortgeführt, die Hitchcock als Filmfiguren, Arbeitskolleginnen und wer weiss was noch so liebte. Alle spielen sie Rollen, die weit mutiger sind als ihre männlichen Pendants, keine Stolzprobleme haben und die kernigsten Sätze von sich geben. Sie sind Ladies und Divas und haben zugleich mit den traditionellen Frauenbildern der 50er-Jahre nur noch wenig zu tun.
Der Film opfert also dieses Wesen, um nunmehr um die Gepflogenheiten des Mörders zu kreisen, die von seinem Mutterfetisch herzurühren scheinen. Wenn man der Filmbiografie «Hitchcock» glaubt, die in diesen Tagen anläuft, dann badete der Master of Suspense in den Grauensrufen seines Publikums wie ein Dirigent in Wagnerschen Klangwogen. Heute ist klar: Nicht leicht findet man einen Ort, an dem man sich so feinsinnig gruseln kann.
Alfred Hitchcock
Ohne diesen Master of Suspense, 1899 geboren, wäre es wohl nicht weit her mit allem, was heute Krimi, Horror und Thriller heisst. Der Brite arbeitete mit Hollywoods grössten Stars und machte einige davon selber gross. Einen Oscar erhielt er nie. Hitchcock starb 1980 in Los Angeles.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 15.03.13