Johnny Depp wird 50. Und bleibt doch ewig jung. Anlass für eine Reise in seine Vergangenheit.
Als er seinen ersten «Batman»-Film mit bahnbrechendem Erfolg ins Kino abgeseilt hatte, lag Hollywood Tim Burton zu Füssen. Der kalifornische Filmemacher hatte den Aufstieg in die oberste Liga geschafft. Und nahm sich nun, 1990, die Freiheit, eine weitere gezeichnete Figur zum Leben zu erwecken. Keine, die man schon kannte, sondern eine, die er sich selbst ausgedacht hatte: Edward mit den Scherenhänden.
Ein verschupfter Junge war dieser Edward, das Experiment eines Bastlers, der ihn zusammengesetzt und erzogen hatte, aber starb, ehe er seinen Ziehsohn mit echten Fingern ausstatten konnte. «Ich bin nicht vollendet», ist sich der unsichere Edward bewusst. Nicht nur das: Er ist auch einsam. Im Schloss seines Schöpfers fristet er ein isoliertes Dasein, bis ihn eine Mutter aus der Nachbarschaft zufällig aufspürt und aufnimmt. Sie meint es gut und führt ihn ein in die Zivilisation.
Ein Freak? Ein Monster?
Die Nachbarschaft aber, sie tuschelt, tratscht und rätselt. Ein Freak? Ein Monster gar, das drüben eingezogen ist? Nein, eine Sensation, stellen sie bald fest und erkennen die Qualitäten des Jungen mit den Scherenhänden, der als Heckenschneider oder Hundefriseur einen fantastischen Job macht.
Durch die TV-Serie «21 Jump Street» wurde er in den 1980er-Jahren zum Teenie-Idol wider Willen – vermochte sich danach aber durch sorgfältige Rollenwahl zu etablieren. Schräge Figuren mit einem Spleen sind sein Markenzeichen geworden, sei es als Hunter S. Thompson in «Fear and Loathing in Las Vegas» oder als Captain Jack Sparrow im – familienfreundlicheren – «Pirates of the Caribbean», seiner Rum- und ruhmreichsten Rolle.
Edward wird zur Vorstadtattraktion. Bis er sich verliebt, in die Teenie-Tochter seiner Pflegemutter. Man muss nicht das «Phantom der Oper» kennen, um zu ahnen: Diese Liebe führt zu einem tragischen Ende. Die Schöne und das Biest, revisited. Mit der Bestätigung, dass das Biest gutmütig ist, die Gesellschaft aber nicht.
Das Filmstudio sah Tom Cruise in der Hauptrolle, und auch Michael Jackson interessierte sich dafür, den liebevollen Freak zu spielen. Tim Burton aber setzte sich durch und seinen Wunschkandidaten ein: Johnny Depp. Eine Win-win-Situation, von der beide bis heute profitieren: In acht Filmen haben sie zusammengearbeitet und bei allem Erfolg ihre künstlerische Integrität bewahrt. «Edward Scissorhands», dieses wunderbar detailliert ausgestattete und einfühlsam erzählte Frühmärchen, ist dabei so zeitlos gut wie Johnny Depp selber, der am 9. Juni 50 Jahre alt wird. Man mag es kaum glauben.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 07.06.13