Kultwerk #86: Schlumpfine

Die einzige Frau Schlumpfhausens sah vor lauter Blau anfänglich rot – und wurde später blond.

Allseits beliebt – trotz dunkler Vergangenheit: Schlumpfine (Bild: zVg)

Die einzige Frau Schlumpfhausens sah vor lauter Blau anfänglich rot – und wurde später blond.

Vor gut zwei Jahren machte sich ein Grauen im beschaulichen Schlumpfhausen breit. In seiner Publikation «Le petit livre bleu» rechnete der französische Politikwissenschaftler Antoine Buéno mit der heilen Welt der Schlümpfe ab. Er bezeichnete die Gesellschaft der Schlümpfe als ein «Archetyp totalitärer Utopie» und deckte kommunistische und rassistische Aspekte Schlumpfhausens auf. So sah Buéno in Papa Schlumpf eine Personifikation Stalins und verglich die restlichen 99 Schlümpfe, die ständig mit dem Bauen ­irgendwelcher Brücken beschäftigt sind, mit Gulag-Häftlingen.

Als sei das nicht genug, verkommt Schlumpfine bei Buéno zum arischen Ideal, das sich zwar nicht sexuell auf die männlichen Schlümpfe einlässt, ansonsten aber jedes Klischee eines Blondchens erfüllt (Schlumpfine wird übrigens im Schlumpf-Kinofilm von Katy Perry gesprochen).

Über die Relevanz dieser reisserischen Abhandlung lässt sich streiten. Auf Schlumpfine treffen Buénos Analysen aber überwiegend zu: Sie ist ein asexuelles Wesen, das hübsche Kleider und Geschenke mag und in einem Haus voller Herzformen wohnt. Als Frau ist Schlumpfine nur an ihrer Haarpracht erkennbar, die ursprünglich alles andere als blond war: In der 31. Folge erschuf Gargamel gegen die «fürchterliche Heiterkeit» der Schlümpfe eine Spiel- und Spassverderberin, die Schlumpfhausen mitsamt den Bewohnern zerstören sollte.

Aus einem blauen Klumpen und ein paar exotischen Ingredienzen (darunter ein halbes gezinktes Kartenspiel) setzt er eine Schlumpfine mit struppigem schwarzem Haar in die Welt, die kurze Zeit später von Papa Schlumpf neu­tralisiert wird. Seither trägt sie blond und lebt Schlumpf-konform in der blauen ­Gemeinschaft.

Mal abgesehen von dieser rassistisch auslegbaren Kleinigkeit geht es bei den Schlümpfen friedlich zu. Sie sind ein heiteres Volk, das fern von Gulag-Assoziationen ein idyllisches Leben führt. Totalitär an ihnen ist nur ihre Sprache: Jedes Wort wird mit «Schlumpf» versehen, die Schlümpfe schlumpfen schlumpfig, beschlumpfen schlumpfend, entschlumpfen schlumpfvoll und verschlumpfen schlumpfgemäss. Und das in mehr als 50 Comicalben und 400 Fernseh-Episoden.

Peyo
Der belgische Zeichner Pierre Culliford alias Peyo erfand 1958 die Schlümpfe als Nebenfiguren für den mittelalterlichen Comic «Johan et Pirlouit». Ein Jahr später erhielten die Schlümpfe ihre eigene Comicserie und wurden ab 1981 Fernseh-Stars. Peyo, der heuer 85 Jahre alt geworden wäre, starb 1992 an Herzversagen. Seither verschlumpft sein Sohn die beliebte Comicserie.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 28.06.13

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