Joseph Cornell muss ein seltsamer Kauz gewesen sein: Künstlerisch ein Autodidakt, im Umgang mit Menschen scheu, sich vorwiegend von Donuts und Schokokuchen ernährend, konnte er eigentlich gar nicht zeichnen. Das Kunsthistorische Museum in Wien zeigt nun sein Werk.
Als strenger Anhänger der Christian Science gegen Medikamente, lebte Cornell mit seiner Mutter in einem Haus am Utopia Parkway in New York. Am Küchentisch und im Keller setzte er in nächtelanger Arbeit seine eigene Welt zusammen.
«In Europa ist er noch ein grosser Unbekannter», sagte Sabine Haag, die Generaldirektorin des Kunsthistorischen Museums (KHM), am Montag vor den Medien zur Ausstellung «Joseph Cornell: Fernweh» über den US-Künstler. Cornell (1903-1972) hat eine unglaubliche Sammlung aus Artefakten, Kunst- und Naturobjekten zusammengetragen und in kleinen Schachteln und Kisten zu neuen Wunderwelten zusammengefügt.
Die Ausstellung, für die sich laut Kurator Jasper Sharp Bezugspunkte in allen Sammlungen des Hauses gefunden hätten, findet daher nicht nur in dem zur dunklen, faszinierenden Wunderkammer gewordenen Sonderausstellungssaal statt, sondern findet ihr Ende mit einer eigenen Vitrine inmitten der Kunstkammer, im Nachbarraum von Cellinis Saliera.
An allem partizipiert und vieles antizipiert
Cornell, der seine Funde in Antiquariaten, auf Flohmärkten und in Billig-Shops machte, habe in seiner eigenen, verquer wirkenden Weise seit den 1930er-Jahren nahezu an jeder modernen Kunstrichtung partizipiert oder diese sogar antizipiert, sagte Sharp. Künstler wie Andy Warhol wurden von ihm beeinflusst, Jasper Johns und Robert Rauschenberg sammelten ihn.
Dass er in Europa so wenig bekannt sei, liege an drei Dingen: Die Objekte seien «wahnsinnig fragil», ihr Transport sei daher «sehr teuer und hoch kompliziert», die allermeisten Werke befänden sich in den USA, und schliesslich habe nahezu jeder private Besitzer eine enge, intime Beziehung zu den Objekten. «Viele stehen in den Schlafzimmern, ja sogar auf den Nachtkästen», sagte Sharp.
Bei fast allen der 79 Leihgaben hätten erst persönliche Besuche die Leihgeber überzeugen können, sich temporär von ihren Schätzen zu trennen.
Keine Chance für das MoMA
Doch auch diese Überredungskunst habe ihre Grenzen gehabt: Nach der Londoner Royal Academy, wo die Schau mit glänzendem Presseecho im Sommer gezeigt wurde, habe sich auch das New Yorker MoMA für eine Übernahme der Ausstellung interessiert, berichtete Sharp. Die Leihgeber-Reaktion unisono: «No way!»
«Es war die komplizierteste Ausstellung meines Lebens», stöhnte Sharp. Umso glücklicher kann man sich nun in Wien schätzen, einige der frühen, an Max Ernst orientierten Collagen und viele der Zauberkästchen bewundern zu können, in denen auf vielfältige Weise neue Bezüge zwischen Literatur – auch Hölderlin oder den «Leiden des jungen Werther» sind eigene «boxes» gewidmet – und Kunst, Natur und Geschichte, Wissenschaft und Weltgeschehen hergestellt werden.
Jede Menge Fläschchen, Tiegel, Dosen und Schubladen enthüllen (oder behalten) ihre Geheimnisse. Dass die Objekte nicht selten an Spielzeug erinnern ist beabsichtigt, bei nicht wenigen gibt es bewegliche oder veränderbare Teile – wie man auf kleinen Screens vorgeführt bekommt.
Bewegung war dem Reise-Verweigerer wichtig
Bewegung sei für den grosser Reise-Verweigerer überhaupt ein wichtiges Thema gewesen, sagte Sharp, er habe nicht nur eine herausragende Sammlung aus der Frühzeit des Laufbildes besessen, sondern auch selbst avantgardistische Filme gedreht.
Und so kommt es, dass als einzige öffentliche Kulturinstitution in Österreich das Filmmuseum Werke von Cornell besitzt. Am 11. und 12. November werden diese in zwei unterschiedlichen Programmen als «wichtige Ergänzung zur Ausstellung» (Haag) gezeigt. Im Rahmen der Viennale-Retrospektive «Animals» ist am 4. November ein Cornell-Kurzfilm («Carousel – Animal Opera») zu sehen.
Auch das übrige Begleitprogramm ist exquisit. Erwartet werden unter anderem Cornell-Biografin Deborah Solomon (5. 11.), die prominenten New Yorker Kunstkritiker Roberta Smith und Jerry Saltz (16. 11.) sowie Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk, der Cornell als eine seiner Inspirationsquellen für sein «Museum der Unschuld» genannt hat (15. 12.).