Alice Munro hat am Donnerstag als erste Kanadierin den Literaturnobelpreis erhalten. Die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften würdigte die Autorin in Stockholm als «Meisterin der zeitgenössischen Kurzgeschichte».
Die 82-Jährige gehörte schon seit vielen Jahren zu den Favoriten auf die renommierteste Literaturauszeichnung der Welt und fand sich auch heuer bei den Wettbüros unter den Top 5.
Die letztlich aber doch etwas überraschende Entscheidung traf dabei in der Fachwelt auf praktisch einhellige Zustimmung. Im Vorjahr hatte die Wahl des chinesischen Autors Mo Yan noch einige Kritiker auf den Plan gerufen, die dem Nobelpreisträger zu grosse Regimetreue vorwarfen.
Die Auszeichnung für Munro darf nun auch als Würdigung der Kunstform Kurzgeschichte gesehen werden, hat die Autorin doch nur einen Roman in ihrer gut 45-jährigen Karriere veröffentlicht, dafür aber 13 Bände mit Kurzgeschichten. In diesem Medium fand sie ihre eigene, markante Sprache, die bisweilen mit Tschechow verglichen wird.
In dieser widmet sie sich meist Frauenschicksalen, die oft in jener Gegend spielen, in der Munro seit Jahrzehnten lebt: Lake Huron in Ontario. Einige ihrer Geschichten wurden auch verfilmt, so etwa 2006 «The Bear Came Over the Mountain», die von Regisseurin Sarah Polley als Vorlage für das Altersdrama «An ihrer Seite» herangezogen wurde.
Kommt noch was?
Die Ehren aus Stockholm kommen dabei zu einem Zeitpunkt, an dem die Stimme der Autorin Munro wohl verstummt. «Ich werde wahrscheinlich nicht mehr schreiben», hatte sie im Juni angekündigt: «Es ist nicht so, dass ich das Schreiben nicht geliebt habe, aber man kommt in eine Phase, wo man über sein Leben irgendwie anders denkt.»
Munro habe schon dreimal ihren Abschied angekündigt, sagte hingegen Hans-Jürgen Balmes von S. Fischer, neben dem Zürcher Dörlemann einer ihrer deutschsprachigen Verlage. «Jetzt hoffen natürlich alle, dass es auch dieses Mal nicht das letzte Buch war.»
Spätentwicklerin
Die Bauerstochter war bereits knapp 40 Jahre alt, als 1968 ihr erster Erzählband (deutsch «Tanz der seligen Geister») erschien. Dieser wurde gleich preisgekrönt, worauf zahlreiche weitere Ehrungen über die Jahre hinweg folgen sollten und die über den National Book Critics Circle Award und den Man Booker International Prize nun zum Literaturnobelpreis führten.
Dass sie nach all den Jahren die schwedische Auszeichnung tatsächlich noch erhalten sollte, damit hatte Munro laut eigener Aussage nicht mehr gerechnet. Sie habe immer gedacht, der Nobelpreis sei «einer dieser Wunschträume, die in Erfüllung gehen könnten, aber es wahrscheinlich nie tun», erzählte sie dem kanadischen Fernsehen in einer ersten Reaktion.
Frohe Botschaft verschlafen
Dass der Preisträger am Donnerstag bekanntgegeben wird, zu einer Zeit, wenn bei ihr noch finstre Nacht herrscht, hatte Alice Munro vergessen. Deshalb hatte sie die Nachricht der schwedischen Akademie auf dem Anrufbeantworter noch gar nicht abgehört, als sie von ihrer Tochter mit der frohen Botschaft aus dem Schlaf gerissen wurde.
Ob Munro den Preis nun persönlich in Stockholm in Empfang nehmen wird können, ist derzeit noch unklar. Sie sei schon so alt, er hoffe, dass sie im Dezember über den Atlantik kommen könne, sagte Peter Englund von der Akademie im schwedischen Fernsehen.
Der Nobelpreis ist mit 8 Millionen Schwedischen Kronen (1,125 Millionen Franken) dotiert und wird traditionsgemäss am 10. Dezember, dem Todestag des Preisstifters und Industriellen Alfred Nobel (1833-1896), überreicht.