«L’Abri»: die Welt im Bunker

Eine Stahltür, die jedem Schweizer vertraut ist. Fast jeder hat sie im eigenen Keller. Fernand Melgar liefert eine Studie von jenen Menschen, die Türwächter spielen müssen. Es ist jeden Winterabend dasselbe Bild: Eine schwere Metalltüre öffnet sich. Die Betreuer am Portal müssen entscheiden, wer heute Nacht ein Dach über dem Kopf kriegt, oder wer unter […]

Wer - wie José - entscheiden muss, wer herein darf, weiss was Flüchtlingspolitik heisst

Eine Stahltür, die jedem Schweizer vertraut ist. Fast jeder hat sie im eigenen Keller. Fernand Melgar liefert eine Studie von jenen Menschen, die Türwächter spielen müssen.

Es ist jeden Winterabend dasselbe Bild: Eine schwere Metalltüre öffnet sich. Die Betreuer am Portal müssen entscheiden, wer heute Nacht ein Dach über dem Kopf kriegt, oder wer unter den Nachthimmel von Lausanne geschickt wird. José ist einer von jenen Türwärtern, die zwischen Armut und Armseligkeit entscheiden. Es werden täglich mehr, die einen Unterschlupf suchen. Es werden auch täglich mehr weggeschickt – hinunter in die Stadt mit dem prachtvollen Ausblick auf den See.

Fast zwei Stunden öffnet uns der Dokumentarfilmer Fernand Melgar die Stahltür und den Blick hinter den eisernen Vorhang. Für gut zwei Stunden weilt man in der Welt der Gestrandeten. Sie fassen Leintücher, sie kochen Essen, sie duschen. Im Bunker, in dem José und seine Mitarbeiter den letzten Rest von Würde aufrechterhalten. Fernand Melgar, der für seinen letzten Film «Vol Spécial» (Rückschaffung von Asylsuchenden) mit Preisen überhäuft wurde, liefert einen Bericht, der für einmal Helden des Alltags zeigt, von denen sonst kaum die Rede ist.

«Wenn der Hunger an die Tür klopft, flieht die Liebe aus dem Fenster».

Es ist schwer zu sagen, welches Bild besser ausdrückt, was Melgar uns sagen will: Das Gerangel der Schlangestehenden um die vordersten Plätze? Der karge Freudentanz der Gestrandeten in der Neujahrsnacht? Die Kartonmatratze? Oder die Ausweis-Karte, die den Schlangestehenden erlaubt, sich elektronisch erfassen zu lassen? Ein Mausklick hinüber in die Verwaltung genügt jetzt, um zu entscheiden, dass die Metalltür für sie heute geschlossen bleibt.

Was sich einprägt, ist der Ton der Betreuer: Bestimmt, respektvoll, mithin verzweifelt sind sie auf der Höhe der Ereignisse: Sie verhandeln, handeln, sind sich auch untereinander nicht immer grün, aber leisten ein grosse Arbeit gegen die Verzweiflung.  

Hin und wieder öffnet Fernand Melgar uns den Blick für einen anderen Optimismus. Er lässt uns mit den Augen der Abgewiesenen über den See blicken – in traumhaft schöne Morgenstimmungen Lausannes. Dabei keimt kurz die Hoffnung, es käme nie wieder eine Nacht.

Bunker für den Kriegsfall

Wer aber in «L’Abri» hinsehen will, der sollte vielleicht nicht kriegsmüde sein. Zumindest die Schweizer Zivilschutzanlagen werden bereits wie im Kriegsfall genutzt: Die Überlebenden suchen dort Unterschlupf, wenigstens während des Winters. Im Frühling werden die Tore dann wieder geschlossen. Das heisst nicht, dass dennoch jemand hinein möchte.

Auch das fasst Fernand Melgar in ein Bild – sein letztes: Ein müder Migrant entfernt sich. Der einheimische Obdachlose bleibt sitzen. Ein vom Krieg Vergessenener.

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«L’Abri» läuft u.a. im kult.kino Basel. Am 12. Oktober, 11 Uhr, ist Regisseur Melgar im Kino Camera anwesend.

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