Mit dem Abschied von Philipp Lahm endet eine der grössten deutschen Fussballkarrieren. Wird es am Samstag gegen den SC Freiburg Tränen geben?
Noch einmal wird der Weltmeister als Bayern-Captain die Schale empfangen, dann steht erst einmal ein Leben als Privatier an. Mit alltäglichen Wünschen.
Diese Titelparty wird für Philipp Lahm voller Emotionen sein. Zum Abschied einer Karriere für die deutsche Fussball-Ewigkeit wird der Weltmeister noch einmal die Meisterschale im Konfettiregen in die Höhe recken.
Nach rund anderthalb Jahrzehnten als Profi freut sich der 33-Jährige aber schon auf sein neues Leben als Privatier, auf ausgedehnte Frühstücke mit der Familie, auf viel Zeit mit Ehefrau Claudia, Sohn Julia und der bald geborenen Tochter.
«Lebe frei in den Tag hinein»
«Erst einmal mache ich mit meiner Familie Urlaub und lebe frei in den Tag hinein. Doch ich werde mir einen Tag setzen und den für mich als Startschuss in mein neues Leben definieren», kündigte Lahm an und freute sich auf den letzten Profi-Auftritt am Samstag. «Ich habe nach wie vor Gänsehaut, wenn die Fans meinen Namen rufen», sagte der Alles-Gewinner im «Bayern-Magazin».
Als der Nachwuchsmann Lahm beim bedeutungslosen Champions-League-Spiel am 13. November 2002 der bereits ausgeschiedenen Münchner gegen RC Lens eingewechselt wurde, konnte niemand wissen, wie gross diese Karriere werden würde. «Dieser Verein hat Legenden wie Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Uli Hoeness, Kalle Rummenigge. Philipp Lahm ist auf diesem Niveau», rühmte der ehemalige Bayern-Coach Pep Guardiola den Musterprofi einmal.
Acht deutsche Meisterschaften, sechs Cupsiege, der Erfolg bei der Club-WM 2013 und als Krönung der Vereinskarriere der Champions-League-Triumph 2013 stehen in der einzigartigen Vita Lahms. «Ich habe nie für irgendwelche Rekorde gespielt. Ich habe immer gespielt, um erfolgreich zu sein», erklärte Lahm. Auch im DFB-Trikot, in dem er als Weltmeister im 113. Länderspiel zu den grössten deutschen Fussballern überhaupt aufstieg. Am Vormittag nach dem Final teilt er Bundestrainer Joachim Löw den Entscheid mit, die DFB-Laufbahn auf dem Höhepunkt zu beenden. Typisch Lahm.
Der 33-Jährige war schon immer ein Selbstbestimmer, und so ist das Karriereende ein Jahr vor Auslaufen seines Vertrags fast folgerichtig. Jetzt tritt er in einer starken Position zurück, auch wenn ihn Trainer Carlo Ancelotti gerne als «neuen Paolo Maldini» bis ins Alter von 40 Jahren auf dem Platz behalten hätte. Aber so tickt Lahm nicht. Geldverdienen in einer Altherren-Liga oder ein Karriereende à la Bastian Schweinsteiger in den USA kommt für den Unternehmer nach über 500 Bayern-Spielen nicht in Frage.
Unabhängigkeit gehörte immer zu seiner Karriere. Die demonstrierte der Defensivspieler auch in einem Interview im Jahr 2009 mit Aussagen zur Transferpolitik und zur Spiel-Philosophie. 50’000 Euro Busse musste Lahm damals zahlen. Seine Autonomie wollte er sich für die Zeit nach der Profilaufbahn erhalten. Eine Rolle ohne Vorstandsplatz unter den Bayern-Bossen Uli Hoeness und Karl-Heinz Rummenigge kam für Lahm daher nicht in Frage. Auch hier verfolgt der 33-Jährige einen klaren Karriereplan.
Jede Aktion stets durchdacht
Auf dem Platz war auch jede Aktion stets durchdacht. Fehler gehören nicht ins Selbstverständnis von Lahm. Selbst die schlechte Figur, die Lahm beim 0:1 im EM-Final 2008 gegen Spanien machte, ist längst vergessen. Der Mr. Konstanz geht als fehlerloser Abwehrspieler in die deutsche Fussball-Geschichte ein. Eigentlich machte er auf dem Platz immer das Richtige. Wenngleich es sich für den Familienvater von bald zwei Kindern nicht mehr ganz so mühelos anfühlte wie einst.
«Er gehört auf jeden Fall in das Jahrhundert-Team von Bayern», sagte der frühere Nachwuchstrainer und aktuelle Bayern-Assistent Hermann Gerland. Gerne erzählt Gerland immer wieder die Geschichte, wie schwierig es war, Lahm in die Bundesliga zu bringen.
«Es waren renommierte Trainer dabei, die abgewunken haben. Erst Felix Magath hat zugegriffen», erinnerte Gerland auch dieser Tage wieder. Aus Stuttgart kam Lahm gereift zurück und stieg zu einem grossen Anführer der Bayern auf.
«Spieler-des-Jahres»-Auszeichnung zum Abschluss?
Als Lahm seine Karriere begann, hatten Alphatiere wie Oliver Kahn oder Michael Ballack das Sagen. Der nur 1,70 Meter grosse Lahm ist auch nicht weniger einflussreich, doch er prägte in seiner Generation einen anderen Führungsstil. Allerdings auch meinungsstark und durchaus geltungsbewusst: Die vom verletzten Michael Ballack für die WM 2010 übernommene Captainbinde gab er nicht mehr her.
Lahm ist ein grosser Pragmatiker, das bewies der Allrounder nicht nur mit seinem wiederholten Wechsel zwischen der Links- und Rechtsverteidigerposition. Von Guardiola war der technisch versierte Profi ins Mittelfeld beordert worden, liebte die neue Position im reifen Fussballalter. Auch unter Löw spielte Lahm dann bei der WM 2014 in Brasilien im Mittelfeld, ehe er die Position aufgab und der Mannschaft rechts hinten weltmeisterliche Stabilität gab.
Eine Ehrung fehlt in Lahms Vita überraschend, nie wurde er «Fussballer des Jahres» in Deutschland. «Was er in der ganzen Zeit für den deutschen Fussball geleistet hat: Da hätte er mindestens einmal verdient gehabt, Fussballer des Jahres zu sein», sagte Captain-Nachfolger Manuel Neuer. Die besten Chancen auf diese Auszeichnung in diesem Sommer aber hat Lahm allemal.