Immer noch die Cumbria-Landschaft im Kopf – da wirkt die vor uns liegende Industrieebene von Liverpool schon etwas ernüchternd. Darum ein kleiner Sprung, das heisst: eine Zugfahrt.
John und Jim heissen unsere Gastgeber. Sie reden etwas Deutsch, erzählen davon, dass sie in Berlin gelebt haben, dass sie malen, davon aber nicht leben können und deshalb Jims Elternhaus zum Bed&Breakfast-House umgebaut haben. Sie sagen, dass sie den nüchternen deutschen Stil lieben, dies aber nicht sagen dürfen in Ulverstone, weil man das Deutsche hier nicht mag.
Sie fragen uns, was denn eigentlich der Unterschied zwischen dem Deutschen und dem Schweizerischen sei. Wir sind etwas überrascht und wissen gar nicht, was in den Augen von Engländern eigentlich der Unterschied sein könnte. Ein Teil der Schweizer spreche die ähnliche Sprache wie die Deutschen, sagen wir, aber nicht so geschliffen. Aha, sagt Jim, ihr seid die Underdogs, aber als Underdogs reicher als die Über-Dogs – das gibt es wohl sonst nirgends auf der Welt.
Und jetzt, da eine ernsthafte Diskussion hätte beginnen können, hatten es John und Jim plötzlich irgendwie eilig. Sie gaben uns einen Tipp: Besucht das Laurel&Hardi-Museum. Das gibt es hier, denn Stan Laurel (der Dünne oder: der Doofe) ist 1890 in Ulverston auf die Welt gekommen.
Kaffee im Kino
Das taten wir: In drei niedrigen, kleinen Räumen Hunderte, Tausende von Fotos, Briefen von und an die beiden Komiker, einer von Jimmy Carter aus dem Jahr 1978, der Hut von Laurel, Wachsfigur aus Tusseauds Kabinett, Stöcke, Plaketten … Ein umtriebiger Kurator hatte uns empfangen. Er überredet uns, ins rührend üppig eingerichtete Kino einzutreten. Kinobestuhlung – etwa dreissig Sitze. Wir suchten die beiden schönsten aus, der Kurator entschwand, liess den Saal eindunkeln und spielte einen Laurel&Hardy ab. Zwischendurch schaltete er eine Pause ein und servierte Kaffee.
Und nun sollten wir aufbrechen, siebzig, achtzig Kilometer durch Lancaster, Preston, Blackpool, Liverpool lagen vor uns. Nach den Cumbria-Bergen hatten wir keine Lust, zwei Tage lang durch diese flache Industrie- und Freizeitlandschaft zu wandern. John und Jim hatten uns davon abgeraten. Moni setzte zu einer grundsätzlichen Diskussion über Ferien, Erholen und Ausruhen an. Eigentlich, so sagte sie, gehöre zu Ferien auch ein bisschen Faulenzen und sie habe nun Ferien und sie wolle auch ein bisschen ausruhen. Ich hielt dagegen: Ich möchte nun halt weiter südwärts wandern. Und wir fanden einen wunderbaren Kompromiss: Wir setzen uns in den Zug nach Chester, zwei Mal umsteigen, sündhaft teuer (hundertzwanzig Franken) und jeder Zug hat Verspätung – keiner weniger als eine halbe Stunde. In den Bahnhöfen Ansagen über Verspätungen. In Warrington, sagt einer, hätten heute fünfzig Züge mehr als eine halbe Verspätung gehabt. Mir fällt ein, dass ich oben in Schottland mein Clichee von den privatisierten, verlotterten und immer verspäteten britischen Bahnen revidieren wollte.
Nun sitzen wir in Chester. Eine herausgeputzte Stadt, ein Stadtkern voller teurer Läden. Die Strassen wie in den Cumbrischen Bergen ein einziges Museum, in denen links und rechts Kulissen aufgestellt sind. Kein Haus, das nicht in den letzten zehn Jahren gestrichen worden wäre, das nicht mit handgeschnitzten Balken prahlte. Unwirklich auch hier – wie im Bilderbuch.
(Chester, 17. Mai 2002)