Eine schwere Depression legte sein Leben in Trümmer. Nun betreut Andrea Käppeli selbst Leute mit psychischen Krankheiten und leistet Aufklärungsarbeit. So auch mit einem Auftritt am Wildwuchs-Festival.
Der schwarze Herrenrock ist mit einer Brosche zusammengeknüpft, auf dem Kopf ein Strohhut. Andrea Giovanni Käppeli ist in einem ungewöhnlichen Outfit unterwegs. «Es ist mir egal, was andere über mich denken», sagt der 53-Jährige. Mittlerweile habe er eine dicke Haut. Die wuchs ihm nach einer Erschöpfungsdepression, die ihm vor zwölf Jahren einen Strich durchs Berufs- und Familienleben machte. Ein halbes Jahr Klinik, drei Jahre intensive Behandlung waren die Folge.
Käppeli steht zu seiner Krankheit, auch öffentlich wie im Dokumentarfilm «Gleich und anders» von Jürg Neuenschwander. «Es ist keine Schande, eine Krankheit zu haben», sagt der Basler. Im Film werden Menschen mit psychischen Erkrankungen gezeigt. Käppeli ist einer der Porträtierten.
Keine Monster
Die Entscheidung, sich mit seiner Vergangenheit ins Rampenlicht zu begeben, bereut er nicht: «Man kann nur dann Tabus brechen, wenn man den Menschen die Realität zeigt. Die Leute sollen sehen, dass wir keine Monster sind.»
Die Reaktionen auf seinen Auftritt im Film fielen unterschiedlich aus: Ob er denn wahnsinnig sei, sich so seine Zukunft zu verbauen, meinten die einen. Andere zollten ihm hingegen Respekt, da endlich mal einer hinstehe, ohne etwas zu kaschieren.
«Die Depression ist wie ein Dampfhammer über mich gekommen.»
Der Start ins Berufsleben gelang Käppeli optimal. Der gelernte Reprofotograf arbeitete auch als Techniker in der Druckindustrie und als Informatiker. Daneben gründete er ein kleines Medienunternehmen für Privatfernsehen. Er filmte und schrieb Drehbücher.
Doch dann kam das Jahr 2005, in dem kein Stein auf dem anderen blieb. Käppeli hatte mehrere Jobs gleichzeitig, seine zweite Tochter kam auf die Welt, dann die Trennung von der Partnerin. «Wenn überhaupt, hab ich damals jeweils drei Stunden geschlafen.» Damals war er 41. «Die Depression ist wie ein Dampfhammer über mich gekommen», erinnert er sich, räumt aber ein, dass es schon vorher eine Depression gegeben habe, die er allerdings nicht zur Kenntnis nahm.
Nun klafft eine Lücke in seinem Curriculum. «Ich hab in diesem Jahrtausend praktisch keinen Lebenslauf mehr.» Heute lebt er von der IV-Rente. Davon gehe die Hälfte für die Wohnung drauf. Mit unzähligen Bewerbungen und eigenen Projekten, etwa als freischaffender Fotograf, versuche er immer wieder, Fuss zu fassen.
«Man kann nur dann Tabus brechen, wenn man den Menschen die Realität zeigt.» Als einer der Protagonisten in einem Dokumentarfilm wie auch bei einer Podiumsdiskussion am bevorstehenden Wildwuchs-Festival möchte er für das Thema Depression sensibilisieren. (Bild: Donata Ettlin)
Die Depression zerstörte nicht nur sein Berufsleben. Auch das Beziehungsnetz brach auseinander. Viele Freunde, viele Partys – so sah sein Leben vorher aus. «Wenn du eine solche Krise hast, merkst du, wer die richtigen Freunde sind», sagt Käppeli. Auch innerhalb der Familie gingen Kontakte verloren.
Drückeberger, Scheininvalider oder gar «faule Sau»: Sogar von Freunden musste er sich solcherlei anhören. «Das ist ein Depressionsbeschleuniger – so ein Spruch kann dich um drei Monate zurückschleudern.» Selbst gut gemeinte Tipps seien oft kontraproduktiv. «Ich wurde eingedeckt mit unreflektierten Kalendersprüchen», erinnert er sich. «Jemand, der das nicht durchlebt hat, teilt halt den Erfahrungshorizont nicht.»
Anderen auf die Sprünge helfen
Mehr als 16 Prozent der Schweizer Bevölkerung gelten als depressionsgefährdet. Die Wahrscheinlichkeit, jemanden davon unter den Angehörigen zu haben, ist also gross. Wie aber soll man Betroffene ansprechen? «Mit ihnen umgehen wie mit allen anderen auch», sagt Käppeli und rät, Betroffenen zu Kontakten zu verhelfen: «Aber nicht enttäuscht sein, wenn eine Einladung abgelehnt wird.» Auf Gesellschaftsebene brauche es wie im Strassenverkehr mehr Präventionsarbeit. Das müsse bereits in der Schule geschehen – etwa indem man von psychischen Erkrankungen Betroffene einlädt.
Eine sinnvolle Beschäftigung sei ebenfalls wichtig. Für Käppeli sind das Fotografie, Natur und Gartenarbeit. Zudem leitet er den «Depressions-Trialog», der Betroffene, Angehörige und Fachleute auf Augenhöhe zueinander bringen soll, und macht eine Weiterbildung in Peer-Arbeit. Dabei geht es darum, dass Menschen mit ihrem eigenen Erfahrungsschatz anderen auf die Sprünge helfen. Dabei setzt er seine Kenntnisse als Fotograf ein: Seinen Schützlingen gibt er eine Kamera in die Hand, um das einzufangen, was die Landschaft oder schon nur der Strassenrand hergibt – um so für einen Moment vom Tunnelblick abzukommen.
Man soll Menschen nicht auf ihre Krankheit reduzieren, findet Andrea Käppeli: «Du bist schliesslich auch kein Beinbruch, wenn du das Bein gebrochen hast.»
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Der Film «Gleich und anders» wird am 7. Juni um 18 Uhr am Wildwuchs-Festival in der Kaserne (Rossstall) gezeigt. Anschliessend gibt es eine Podiumsdiskussion mit Andrea Giovanni Käppeli und anderen Betroffenen, Angehörigen und Fachpersonen der UPK.