Der Lega-Grossrat Michele Foletti ist am Montag turnusgemäss zum Präsidenten des Tessiner Kantonsparlaments gewählt worden. Die Entscheidung war spannend. Eine Affäre um eine Beleidigung des Schriftstellers Giovanni Orelli durch einen Lega-Politiker hätte Foletti beinahe einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Die Lega musste am Montag entsprechend harte Kritik durch die anderen Parteien einstecken. Die Rechtspopulisten im Grossen Rat hätten nach der Affäre zu wenig moralische Verantwortung gezeigt, hiess es. Jedoch verzichteten Linke und Mitte-Parteien auf das Aufstellen eines Gegenkandidaten.
Sie bezeichneten Foletti grundsätzlich als geeignete Person für das Amt. Seine Wahl wurde aber nur von Lega und SVP mit Standing Ovations begrüsst. Zahlreiche Grossräte verzichteten auf einen Applaus. Einige Parlamentsmitglieder von SP und FDP verliessen vorübergehend sogar den Saal.
Boris Bignasca sorgt für Skandal
Dabei war die Wahl zum Grossratspräsidenten für Foletti bis Sonntag vor einer Woche noch eine sichere Sache gewesen. Als Vizepräsident – und ehemaliger stellvertretender Vize – stand seinem Aufstieg zum höchsten Tessiner eigentlich nichts im Weg.
Dies änderte sich jedoch nach einer Veröffentlichung seines Parteikollegen Boris Bignasca in der rechtspopulistischen Sonntagszeitung „Mattino della Domenica“ am 29. April. Darin hiess es sinngemäss: „Wir erwarten sehnsüchtig die nächste Veröffentlichung unter dem Namen Giovanni Orelli. In den Todesanzeigen.“
Der Autor selbst bezeichnete den Ausspruch als Satire. Für viele Tessiner hörte an dieser Stelle aber der Spass auf. Der Staatsrat tadelte in einer Stellungnahme offiziell diese Diskreditierung einer Person.
Nach Kritik auch aus den eigenen Reihen trat Boris Bignasca – Sohn des Lega-Gründers Giuliano Bignasca – aus der Partei aus. Er wolle die Lega vor Angriffen politischer Gegner schützen, begründete er. Bei den Linken waren Zweifel laut geworden, ob unter solchen Umständen ein Lega-Politiker als Parlamentspräsident noch tragbar sei.
Kein Sündenbock
Michele Foletti appellierte vergangene Woche in einem Communiqué an seine Grossratskollegen, ihn nicht zum Sündenbock zu machen. Mit der verbalen Attacke gegen den Schriftsteller und Preisträger des Grossen Schillerpreises 2012 habe er nichts zu tun. Er verurteile die Entgleisung. Orelli sei sogar zu Schulzeiten sein Lehrer gewesen.