Wenn ein französischer Kommunist einen Film macht, darf man erwarten, dass einfache Menschen zu Helden werden. Michel und Maire-Claire zeigen wie. A working class hero is something to be.
Wenn ein französischer Kommunist einen Film macht, darf man erwarten, dass einfache Menschen zu Helden werden. Michel und Maire-Claire versuchen es. A working class hero is something to be.
Als Arbeitsloser hat Michel gerade noch das gute Ende der Krise erwischt: Die Hypothek ist bezahlt. Die Abfindung ist ein Zustupf an die Frührente. Die Ehefrau Marie-Claire verdient noch mit. Wäre da nicht der brutale Überfall mitten im häuslichen Kartenspiel, die beiden würden seinen Ruhestand geniessen können. Auch das geraubte Reisegeld für die Rentnerferien wäre zu verschmerzen. Aber die Gewalttat öffnet dem Paar eine neue Weltsicht.
Tausend neue Arbeitslose heisst tausende, die ihr Auskommen nicht mit Arbeit bestreiten. Michel weiss das. Michel ist Gewerkschafter. Was Michel erst noch entdecken muss: Die, die nicht durch Arbeit ihr Auskommen kriegen, bekriegen sich. Der Mann, der ihn überfallen hat ist sein ehemaliger Arbeitskollege!
Robert Guediguian hat die Zutaten zu einer Sozialballade gut gemischt: Die Banken kreisen an Rettungsfallschirmen über dem ausgetrockneten Arbeitsmarkt. Das Kapital schiesst im Untergrund durch Highspeedkabel um den Globus. Auf den Märkten werden Wetten auf die Zukunft abgeschlossen. Auf den Märkten wird Arbeit vernichtet. Nur ganz unten schlummert das Gute: Bei Michel und Claire. Sie sind Sozialromantiker. Sie stehen für die Welt der kleinen Leute, die sich gegenseitig helfen. Ihnen erscheint ihre Raubüberfall-Anzeige mit einem Mal in einem neuen Licht: Wie kann die Welt wieder zu einer Moral kommen, wenn auch die Solidarischen einander bekämpfen?
Für Michel und Marie-Claire drehen sich die Zeichen ganz allmählich: Sie, die Opfer fühlen sich plötzlich als Täter eines Systems, dessen Hunde den letzen beissen. Sie ziehen die Anzeige gegen den Täter zurück. Sie helfen den Geschwistern des Täters, als wäre er das Opfer. Das wäre Soziakitsch. Aber Guédiguian lässt es dabei nicht bewenden: Die Hilfe stösst nicht auf Gegenliebe. So ist „Les Neiges du Kiimandjaro“ immerhin eine bittere Ballade. Solcher Abgesang auf die Arbeiterklasse darf die Welt vereinfachen. Er macht sie auch reicher. An Moral.
Michel und Marie-Claire gehen in dieser Ballade, jeder auf seine Weise, der Frage nach: Was hat die Täter bewogen? Wie lässt sich die Würde retten, wenn die Arbeit verloren ist? Beide finden ihr Schicksal merkwürdig gespiegelt. Marie-Claire versorgt die kleinen Brüder des Täters, wie ihre eigenen Grosskinder. Michel verliert den Kontakt mit dem Täter, wie zu seinem eigenen Sohn. Spätestens hier hört der Sozialkitsch auf. Hier gelingt Guédiguian immerhin anrührendes Kino der einfachen Leute. Er setzt sich damit selber in eine Linie mit Kaurismäki, die Gebrüder Dardennes und Moretti. Er stellt die Kamera dort auf, wo die Menschen um die Würde kämpfen, und nicht um das Überleben eines Systems.
Guédiguian ergreift dabei Partei, auch wenn er längst aus der Partei ausgetreten ist: Er tritt zum Verteilungskampf an, aber er tut es nicht plump, sondern charmant: Wenn Marie-Claire in der Verzweiflung sich betrinken will, schlägt ihr der Kellner gegen die bevorstehende Depression vor, einen Metaxa zu trinken. Einen Doppelten. Einen griechischen Rettungsfallschirm für kleine Leute. Das ist nicht die einzige Anspielung Guédiguians auf den schmalen Trost, der bleibt, wenn für einmal nicht das Kapital gerettet wird, sondern die Opfer der Arbeitsvernichtung.
Interessant für Kult.Kino Generalabo-Besitzer: Kaum ist Jean-Pierre Darroussin in Kaurismäkis „Le Havre“ als weichherziger Schnüffler aus dem Bild verschwunden, taucht er in „Les Neiges du Kiimandjaro“ als Arbeitsloser auf. Ebenso lakonisch gespielt. Ebenso beirrbar. Ebenso vielsagend. Das ist nur einer der vielen schönen Querverbindungen, die der Spielplan der Kult.Kinos treuen Zuschauern immer wieder erlaubt.