Eseosa Aigbogun gerät ins Schwärmen, wenn sie über Lia Wälti spricht: «Ich kenne niemanden, der ihr nicht gerne zuschaut.» Übersicht, Spielintelligenz, Passqualität und Sozialkompetenz nennt Aigbogun als Stärken ihrer Teamkollegin in der Nationalmannschaft und beim Bundesligisten Turbine Potsdam. Für Nationaltrainerin Martina Voss-Tecklenburg ist Wälti schlicht «Weltklasse».
Seit Jahren gehört die Mittelfeldspielerin sowohl im Nationalteam als auch bei Turbine zu den Führungsspielerinnen. Bereits in ihrer zweiten Saison nach dem Wechsel 2013 von den Young Boys nach Potsdam wurde sie zum Captain des Bundesligisten ernannt, nachdem sie diese Rolle bereits in ihrem letzten Jahr in Bern innegehabt hatte.
Für die Emmentalerin kam die Wahl überraschend. «Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich mir diesen Status bereits erarbeitet hatte.» Inzwischen ist sie in diese Rolle hineingewachsen: «Ich ergreife sowohl auf als auch neben dem Platz gerne die Initiative.»
Gestärkt aus der Krise im Verein
Auch durch die sportliche Krise des deutschen Traditionsklubs ist Wälti reifer geworden. Die Saison 2015/16 war die schlechteste in der Vereinsgeschichte. «Ich musste lernen, hinzustehen und Auskunft zu geben.»
Nach dem Abgang der Trainerlegende Bernd Schröder vor einem Jahr ging es in der letzten Saison, in der Wälti wegen einer Meniskusoperation und einer Kniequetschung einige Spiele verpasste, wieder aufwärts. Am Schluss resultierte Platz 3.
«Ich nehme das Wort Fussballprofi nie in den Mund.»
Obwohl Wälti von ihrem Sport leben kann, definiert sie sich nicht über den Fussball: «Ich nehme das Wort Fussballprofi nie in den Mund.» Der Grund liegt in den Vorurteilen, die vor allem im Vergleich mit ihren männlichen Kollegen grassieren. «Hinzu kommt, dass wir nicht so viel verdienen und nicht nur ‹nur› trainieren.»
Die gelernte Bürokauffrau, die ihre Lehre beim Bund absolvierte, arbeitete in Potsdam zwei Jahre in einer Diabetes-Praxis. Derzeit holt sie das Fachabitur nach, um später soziale Arbeit zu studieren.
«Die Bundesliga ist derzeit sportlich das A und O»
Auch wegen des Studiums sieht sie ihre mittelfristige Zukunft in Deutschland. «Die Bundesliga ist derzeit sportlich das A und O.» Wälti kann sich gut vorstellen, den 2018 auslaufenden Vertrag in Potsdam zu verlängern; der Verein und die Umgebung sind ihr nach vier Jahren ans Herz gewachsen. Innerhalb der Liga käme nur ein Wechsel zu Wolfsburg oder Bayern München in Frage. «Aber Geld geniesst in meinem Leben keine Priorität.»
Später würde sie gerne auch einmal eine andere Kultur kennenlernen. Frankreich stellt derzeit mit Lyon und PSG die besten Klubteams Europas, die englische Liga ist am Aufkommen, und auch die USA üben ihren Reiz aus.
Derzeit gilt Wältis Fokus aber der Nationalmannschaft. Die Erfahrung der ersten WM-Teilnahme vor zwei Jahren lösten bei der 62-fachen Internationalen gemischte Gefühlen aus. Es sei ein einmaliges Erlebnis gewesen, «aber wir sind nicht an unser Leistungsmaximum herangekommen».
«Andres Iniesta war von der Position her immer mein Vorbild.»
Der Achtelfinal gegen Gastgeber Kanada bedeutete Endstation – und im Nachhinein auch das Ende aller Olympia-Träume. Zu übermotiviert und eigensinnig seien sie aufgetreten, so Wälti.
«Inzwischen haben wir uns taktisch weiterentwickelt und gelernt, mit dem Druck umzugehen», sagt Wälti und ist überzeugt, dass die WM-Erfahrung ihnen in den Niederlanden helfen wird, die Qualifikation für die Viertelfinals zu erreichen.
Als Mädchen war Zidane ihr Vorbild
In der SFV-Auswahl ist Wälti dank ihren Qualitäten und ihrer Erfahrung eine Leistungsträgerin. Die Entwicklung der Mittelfeldspielerin, die am liebsten auf der Sechser-Position spielt, ist aber noch nicht abgeschlossen. «Der defensive Kopfball ist eine meiner Schwächen, und vor dem Tor habe ich noch Potenzial, auch wenn mein Torschuss bereits besser geworden ist.»
Wälti orientiert sich dabei lieber am Männer-, als am Frauenfussball. «Andres Iniesta war von der Position her immer mein Vorbild. Er verliert kaum Bälle, ist spielintelligent und spielt super Pässe.» Auch die Spielart des zurückgetretenen Philipp Lahm schätzte sie, und als Kind bewunderte sie den heutigen Real-Trainer Zinédine Zidane. «Seit ich lebe, war er der Beste. Er konnte einfach alles.»
Für die Schweizer Natioanlmannschaft der Frauen beginnt die EM am Dienstag, 18. Juli, um 18 Uhr mit dem Spiel gegen Österreich (SRF live).