Libyens Oberstes Gericht hat das international anerkannte Parlament des Landes am Donnerstag für verfassungswidrig erklärt. Damit wurde die politische Krise in dem Land weiter angeheizt. In Tripolis feierten Islamisten das Urteil mit Freudenschüssen und Hupkonzerten.
Gegen die Entscheidung des von einem islamistischen Abgeordneten angerufenen Gerichts ist keine Berufung möglich. Der Abgeordnete Abderrauf al-Manai hatte argumentiert, das Ende Juni gewählte Parlament habe sich unrechtmässig über die Verfassung hinweggesetzt. Diese sieht vor, dass das Parlament in Tripolis oder in der 1000 Kilometer östlich gelegenen Stadt Bengasi tagen muss.
Stattdessen tagte das von Antiislamisten dominierte Parlament in Tobruk im äussersten Osten des Landes. Es begründete dies damit, dass seine Sicherheit weder in Tripolis noch in dem von Islamisten beherrschten Bengasi, dem Schauplatz heftiger bewaffneter Auseinandersetzungen, gewährleistet sei.
Manai und andere islamistische Abgeordnete boykottierten die Parlamentssitzungen in Tobruk. Sie beschuldigen das Parlament ausserdem, seine Befugnisse überschritten zu haben, als es im August nach der Einnahme der Hauptstadt durch islamistische Milizen zu einer ausländischen Militärintervention aufrief.
Der Rechtsausschuss des Parlaments befasste sich in einer Dringlichkeitssitzung mit der Gerichtsentscheidung. Der Abgeordnete Issam al-Dschehani schrieb auf Facebook, die Abgeordneten würden ein «unter vorgehaltenem Gewehr» gefälltes Urteil nicht anerkennen.
Nationalkongress stärken
Nach Einschätzung von Beobachtern läuft die Gerichtsentscheidung darauf hinaus, den von Islamisten beherrschten Nationalkongress für legal zu erklären. In diesem Sinn äusserte sich am Donnerstag auch der Sprecher des Nationalkongresses, Omar Hmidan. Er sagte, das Gremium sei nun die «einzige rechtmässige Körperschaft» des Landes.
Das Mandat des Nationalkongresses war nach der Parlamentswahl vom 25. Juni eigentlich ausgelaufen. Die Versammlung trat später jedoch erneut zusammen. Sie erkennt die Autorität des Parlaments und der international anerkannten Regierung von Ministerpräsident Abdullah al-Thani nicht an. Deren Einfluss ist äusserst begrenzt.
Die meisten Abgeordneten, die das Parlament in Tobruk an der Grenze zu Ägypten boykottieren, unterstützen das islamistische Milizenbündnis Fadschr Libya, das Tripolis kontrolliert und dort eine Parallelregierung unter Führung des islamistischen Politikers Omar al-Hassi einsetzte.
Machtkämpfe rivalisierender Milizen
Seit der Tötung des langjährigen Machthabers Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 im Zuge der Nato-Luftangriffe auf Libyen kommt das nordafrikanische Land nicht zur Ruhe. Rivalisierende Milizen liefern sich Kämpfe um die Vorherrschaft und Kontrolle einzelner Städte, auch in der Hauptstadt.
In den vergangenen Tagen wurden nach Angaben von Ärzten allein in Bengasi bei Gefechten zwischen regierungsnahen Milizen und islamistischen Kämpfern mehr als 30 Menschen getötet. Tobruk blieb bislang von heftigen Kämpfen verschont.