Lichtspiele: Der leise Krieg

Die Wirklichkeit in Danis Tanovics «An Episode in TheLlife of an Iron Picker» ist eine Zumutung. Die Frau des Schrottsammlers ist schwanger. Als sie Bauchschmerzen kriegt, ahnt sie noch nicht, dass das Kind in ihrem Bauch tot ist. Was sie aber gewiss weiss, ist, dass sie die Behandlung im Spital nicht bezahlen kann. Die Irrfahrt […]

Der leise Krieg der Reichen gegen die Armen

Die Wirklichkeit in Danis Tanovics «An Episode in TheLlife of an Iron Picker» ist eine Zumutung.

Die Frau des Schrottsammlers ist schwanger. Als sie Bauchschmerzen kriegt, ahnt sie noch nicht, dass das Kind in ihrem Bauch tot ist. Was sie aber gewiss weiss, ist, dass sie die Behandlung im Spital nicht bezahlen kann. Die Irrfahrt zu ihrer Rettung, die jetzt beginnt, führt hinter die Kehrseite des Wohlstandes: Durch unwirkliche Industriewüsten in triste Randgebiete zu Verwandten, zu Helfern, bis zum bitteren Ende von «An Episode in the Life of an Iron Picker».

Danis Tanovic gewann 2001 einen Oscar mit «No Man’s Land». Damals richtete er seine Kamera auf den Balkan-Krieg, der grosse mediale Aufmerksamkeit erhielt. Sinnlos, verbissen, im Grabenkampf gefangen, standen sich darin Männer gegenüber, die Gegner waren und vergessen lernten, warum.

Jetzt lenkt er unseren Blick auf einen leisen Krieg. Dieser Krieg wird lautlos und unbeachtet geführt. Es ist der Krieg der Reichen gegen die Armen. Geführt wird er an einer Front, die an den Grenzen der Wohlstandshügel liegt.

Danis Tanovic ist einer, der uns zwingt, dort hinzuschauen, wo unser Begriff von Wirklichkeit aufhören möchte. Er erfindet seine Geschichten anhand eben jener Wirklichkeit, die wir gerne so nicht sähen. Er erzählt sie mit fiktionalen Mitteln, die aber die Formen des Nonfiktionalen nutzen: Mit dokumentarischer Unerbittlichkeit hält er fest, was sich an den Randzonen Europas in Wirklichkeit abspielt. 

Die Brennweite seiner Kamera bringt die Sicherung von Wohlstand auf den Punkt – am Brennpunkt: Am Fuss der Sozialpyramide, dort, wo Menschen vom Abfall der Reichen leben, findet er seine Geschichte. Am Schluss von «Iron Picker» haben wir nur gesehen, was Tanovic als eine Episode bezeichnet: Kein Dokumentarfilmer möchte eine derartige Wirklichkeit dokumentieren. Dazu gehört der Mut eines Grossen des internationalen Films, sie uns als Erfindung zu präsentieren. Er tröstet uns damit, dass er sie uns wie ein wahres Kunstwerk erzählt. 

 

  • Den Film «No Man’s Land» können Sie hier in ganzer Länge auf You Tube anschauen.
  • Der Film «An Episode in the Life of an Iron Picker» läuft zurzeit in den Kult-Kinos.

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