Lichtspiele: Im Reich der Mitte

Nicht zu komplex für Multiplex: Die lakonische Liebesgeschichte der Chinesin Xiaolu Guo.

«Ufo In Her Eyes»: Ein chinesisches Dorf macht sich fit für die Globalisierung. (Bild: zVg)

Nicht zu komplex für Multiplex: Die lakonische Liebesgeschichte der Chinesin Xiaolu Guo.

Vor vier Wochen konnten wir die ent­zückende Ankunft eines Chinesen vermelden (im argentinischen Film «Un Cuento Chino») und wir vermuteten, dass da noch mehr komme. Prompt wurden wir in «Karl’s Kühner Gassenschau» Zeuge, wie ein schlitzohriger Schweizer den Chinesen eine Schoggimanufaktur andreht, die diese verpacken und wegschleppen.

Vor zwei Wochen hat Hillary Clinton angekündigt, dass die US-Navy ihre Präsenz vor den Toren Chinas erhöhen wird – nicht gegen China, wie sie betont. Und was hören wir vor einer Woche von den Chinesen? Dass sie die AMC, den grössten Multiplex-Kinobetreiber der Staaten, gekauft haben. 5034 Kinosäle mit Filmen gegen zwei Flugzeugträger und vier Flotten?

Globalisierung in idyllischem Dorf

So übermütig, wie ich Sie hier in die Faktenlage einweihe, so heiter zeigt sich «Ufo In Her Eyes», der Film der Regisseurin Xiaolu Guo: Ein Ufo ist gelandet. Zumindest sieht dies Kwok Yun so, die chinesische Modellbäuerin. In ihrem kleinen Dorf – stellen Sie sich Andermatt vor – fahren die Bagger auf, die Schafe dürfen nicht mehr frei herumgrasen. Sterne-Hotels, Weltraumbahnhöfe, Resorts schiessen aus der Erde.

Plötzlich sieht die Welt ganz anders aus – auch am Ende ihrer selbst: Schlitzohren bereiten die Ankunft der grossen Welt vor. Die einen wollen sofort Kasse machen. Die anderen stemmen sich dagegen. Lauter kleinlaute Chinesen um Kwok Yun führen vor, was abgeht bei all der Globalisierung, mitten im Reich der Mitte der Modernisierung. Verpestung. Landflucht. Verstädterung.

Lakonisch, politisch und etwas platt

Die in London und China lebende Regisseurin belächelt die Bürokratie in China, die jegliche Form von Kapitalismus mit jeglicher Form von Kommunismus rechtfertigt. Sie nimmt als gewitzte Beobachterin aber auch die kleinen Leute aufs Korn, sie findet die schrägsten Dekors mit improvisatorischer Leichtigkeit, wo immer sie hinschaut. Das ergibt eine herrlich lakonische Liebesgeschichte, immer wieder politisch spitz und, auf Dauer, leider etwas platt.

Trotzdem eine Empfehlung für die 5034 amerikanischen Multiplex-Kinos. Die amerikanischen Kinogängerinnen dürfen sich ein wenig in China umschauen und werden vielleicht sogar Untertitel lesen lernen (ein Sechstel kann ja noch nicht einmal die Titel lesen). Im Abspann von «Ufo In Her Eyes» könnten sie dann nachlesen, dass es sich um eine mehrheitlich deutsche Produktion handelt.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 15.06.12

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