Der Bundesrat will ehemalige Verdingkinder und administrativ Versorgte mit 300 Millionen Franken entschädigen. Parteien und Verbände begrüssen, dass dies rasch geschehen soll. SP und Grüne fordern aber höhere Zahlungen an die Opfer. Grundsätzlich dagegen ist die SVP.
Ehemalige Heim- und Verdingkinder, Opfer von Medikamentenversuchen oder in Anstalten zur «Nacherziehung» Versorgte: Ihr Leid möchte der Bundesrat anerkennen mit dem Bundesgesetz über die Aufarbeitung der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen und Fremdplatzierungen vor 1981, dessen Vernehmlassungsfrist am Mittwoch endet.
Viele der Opfer sind bereits in fortgeschrittenem Alter und teils bei schlechter Gesundheit. Der Bundesrat schlägt deshalb rasche Massnahmen vor, damit noch möglichst viele Geschädigte davon profitieren können.
Gesetz unbestritten
Den Schritt begrüssen grundsätzlich der Bauernverband, die Bischofskonferenz und der Schweizerische Evangelische Kirchenbund – aber auch das Initiativkomitee der Wiedergutmachungsinitiative, in welchem sämtliche grosse Parteien ausser der SVP vertreten sind.
Die im Dezember eingereichte Initiative fordert insgesamt 500 Millionen Franken Entschädigung für die Opfer. Der Bundesrat bietet weniger: Sein indirekter Gegenvorschlag sieht 300 Millionen Franken Entschädigung vor. Allerdings würde das Geld schneller bei den Opfern ankommen.
Daneben soll die Thematik wissenschaftlich aufgearbeitet und Betroffenen der Zugang zu Akten gewährleistet werden, was auch die Initianten fordern. Trotz dem Gegenvorschlag wollen diese das Volksbegehren vorerst nicht zurückziehen.
Zu kleiner Fonds
SP und Grüne fordern einen «substanziell grösseren» Betrag für die Entschädigungen. Sie erwarten, dass die 300 Millionen nicht ausreichen werden, um alle Opfer zu entschädigen.
Je rund 25’000 Franken soll jede und jeder Geschädigte erhalten, darin sind sich Bundesrat und Initiativkomitee einig. Doch der Bundesrat spricht von 12’000 bis 15’000 Opfern, während das Initiativkomitee gestützt auf Historiker von 20’000 Opfern ausgeht.
Würden die 300 Millionen auf 20’000 Opfer verteilt, ergebe das einen zu kleinen Betrag für die Betroffenen, argumentieren die Initianten. 25’000 Franken sind für sie ein Minimum «angesichts der schweren Körperverletzungen, sexuellen Übergriffe, erzwungenen Sterilisationen, administrativen Versorgungen oder Medikamentenversuche.»
Grundsätzliche Kritik am Vorschlag des Bundesrates äussert die SVP. Es sei problematisch, Leid aus einer früheren Zeit mit dem Blickwinkel von heute mit öffentlichen finanziellen Mitteln abzugelten, schreibt die Partei. Dies könne die Ungerechtigkeiten nicht wieder gut machen. Es schmälere das Verantwortungsbewusstsein von Behörden und Politikern.
Kantone begrüssen Freiwilligkeit
Der Bund schlägt ausserdem vor, dass sich auch Kantone und Institutionen freiwillig an den Entschädigungen beteiligen. Die Kantonen begrüssen den Grundsatz der Freiwilligkeit. Nicht jeder Kanton sei gleichermassen betroffen, schreibt die Konferenz der kantonalen Sozialdirektoren. Auf diese Weise könnten alternative Lösungen ausgearbeitet werden.
Wenig Verständnis zeigt dagegen das Initiativkomitee. Die Kantone hätten früher meist die Zwangsmassnahmen selbst erlassen. Sie müssten daher verpflichtet werden, einen Beitrag zu leisten, kritisieren die Initianten. Keine Entschädigung will der Bauernverband leisten. Er erachtet die Finanzierung als Aufgabe der öffentlichen Hand.
Eine längere Frist fordern die Kantone für das Einreichen der Gesuche. Anstatt sechs Monate soll diese zwei Jahre betragen. Die Anlaufstellen würden mit der Zahl der erwarteten Gesuche überfordert sein, schreiben die Sozialdirektoren. Auch die Grünen verlangen eine längere Frist. Damit soll Geschädigten mehr Zeit eingeräumt werden, ihr Gesuch vorzubereiten.