Locarno präsentiert seine Sieger

Der «Goldene Leopard» ging – eher überraschend – an den Kunstfilm «Historia de la meva mort» von Albert Serra. Aber Locarno hat noch mehr zu bieten: Im Rahmen der «Semaine de la Critique» wurden auch herausragende Vertreter der Dokumentarfilmkunst prämiert. «The Master Of The Universe» von Marc Bauder hat am meisten überzeugt. Während der «Goldene […]

Der Leopard auf der Piazza von Locarno

Der «Goldene Leopard» ging – eher überraschend – an den Kunstfilm «Historia de la meva mort» von Albert Serra. Aber Locarno hat noch mehr zu bieten: Im Rahmen der «Semaine de la Critique» wurden auch herausragende Vertreter der Dokumentarfilmkunst prämiert. «The Master Of The Universe» von Marc Bauder hat am meisten überzeugt.

Während der «Goldene Leopard» eher überraschend an den Kunstfilm «Historia de la meva mort» von Albert Serra, Spanien/Frankreich ging, wurden am Filmfestival in Locarno im Rahmen der «Semaine de la Critique» auch herausragende Vertreter der Dokumentarfilmkunst prämiert. Besonders aufgefallen ist der Jury «The Master Of The Universe» von Marc Bauder. Wir haben darüber berichtet. (Die vollständige Palmarès der Preise in Locarno kann hier heruntergeladen werden).

Zusammen ergeben die sieben Dokumentarfilme, die das Auswahlgremium der Schweizer Filmkritiker auch dieses Jahr in der «Semaine» wieder präsentiert hat, ein faszinierendes Weltbild. Eine Bestandesaufnahme der Puzzle-Bilder einer zunehmenden Verarmung der globalisierten Welt: 


 

Zum Gold drängt alles

Bei Andreas Horvaths «Earths Golden Playground» reissen Rohstoff-Ausbeuter Wunden in die Natur, beim Goldsuchen. Horvath folgt den  skurrile Krampfern hoch in den Norden Kanadas, dorthin, wo der Fuchs sich selber gute Nacht sagt (in der Tat scheint ein Fuchs die Graberei ganz gleichgültig zu verfolgen). Horvath lässt in seinen meditativen Bildern die Strapazen der Sucher nach Glück und Reichtum nicht nur erahnen. Er führt sie uns auch in seiner Montage eindrücklich vor Augen. Die Natur bleibt verletzt zurück – gleichgültig.

Das Schwarze Gold der Schwarzen

Während in Andreas Horvaths «Earths Golden Playground» hoch oben in Kanada skurrile Einzelgänger nach richtigem Gold schürfen, und vom Reichtum träumen, reisst in «Big Men» der Reichtum an schwarzem Gold in Ghana die Schwarzen in die Armut. Die Amerikanerin Rachel Boynton ist in Nigeria, Ghana und New York an den Orten, wo diese schreiende Ungerechtigkeit ihren Ursprung hat, unterwegs – mit kriminaler Akribie. In Konzernzentralen in Amerika. In Bürgermeisterstuben. An Strassenecken. Unter den Rebellen. «BigMen» setzt mit all den Begegnungen die Kriminal-Geschichte einer Ausbeutung zusammen: Wir sind dabei, wie  die Rollen besetzt, die Beute verteilt und die Verlierer gemacht werden.

Nicht alles Gold glänzt

Ebenfalls bei der Arbeit: Der Holländer Rene A. Hazekamps. Ihn interessieren die Gestrandeten, jene, die ganz unten angekommen sind, in Rotterdam. Jene die clean werden wollen. Die keiner mehr will. Sie dürfen noch als Müllpicker arbeiten. Cleandienstfür andere.

Es ist ihr letzter Job. Für alles andere gelten sie als unvermittelbar. Am Rande der Gesellschaft rackern sie sich jetzt ab, in der schmalen Hoffnung, einst in die Karrierehamsterräder der Gesellschaft zurückzukehren. «The Unplacables» singt aber nicht die rührselige Soztialballade. Er zeigt den Kampf in diesem ständigen Aufbegehren in einer Sprache, die man bei jenen am Rande nur findet, wenn man ihr Vertrauen gewonnen hat.

Das gelbe Gold

Ebenso am Rande des Wassers und am Rande der Gesellschaft war der Schweizer Luc Schaedler unterwegs. Eigentlich hätten seine «Watermarks» ein Film über Wasser werden wollen. Immer wieder schimmert auch der Widerschein von Wasser durch. Einmal leuchtet es sogar gelb im Sonnentuntergang. Aber immer wieder findet die Kamera die Menschen, die er mit bemerkenswerter Geduld zum Reden bringt: Über ein gänzlich unbekanntes China.




«Drei Briefe» nennt Schaedler die Episoden, die lose durch das Wasser, das sie  durchfliesst, verbunden werden. Fernab vom reissenden Strom der Zeit, der China in eine rasant wachsende indrustrielle Landschaft verwandelt, findet Schaedler Menschen, an denen die Entwicklung vorbeirast, und die zu einem ungewöhnlichen Bild Chinas mit sehr viel Tiefenschärfe beitragen.

Das weisse Gold

«Master of the Universe»: Ein erhellender Blick aus dem Glashaus

«Master of the Universe»: Ein erhellender Blick aus dem Glashaus

Als Hörbild vor gläserner Kulisse präsentiert in Locarno der Gewinner Marc Bauder seinen Film: «Master of  the Universe». Er gewährt einen erschreckend erhellenden Einblick – in den Betrachtungen eines ehemaligen Players der Hochfinanz. In einem leer stehenden Büroturm, mit Blick auf die Machttürme der Finanzkonzerne, Deutscher Bank, Commerzbank und Co., lässt er Rainer Voss nach Worten suchen, wie man den Irrsinn der globalen Finanzströme vielleicht zusammenfassen könnte: «Nach dem Krieg betrug die durchschittliche Besitzdauer an einer Aktie noch vier Jahre. Heute liegt die durchschnittliche Besitzdauer an einer Aktie bei 22 Sekunden!»

Bauder schafft es in verblüffend naheliegenden Bildern den Irrsinne gleichzeitig im Bild einzufangen und in der Sprache zu erhellen. Es ist am Schluss, als hätten die anderen Filme der «Semaine de la Critique» nach all der Bildgewalt diesen «Master of  the Universe» gebraucht, um uns aus all den Winkeln der Welt wieder zurück in die Schweiz zu reissen.

Eigentlich variiert Bauder ein einziges Bild, kommentiert mit aller sprachlichen Schärfe: Gläserne Paläste der undurchschaubaren Macht. Mitten im Kartenhaus denkt einer über Gründe nach, warum die Karten noch nicht gefallen sind. Wer bei einer Bank arbeitet, mit einer Bank arbeitet, oder schlicht sein erarbeitetes Geld einer Bank anvertraut, der wird diesen Film mit einem mulmigen Gefühl im Bauch verlassen. Die künstlerische Non-Fiktion ist eben zu einer bestechenden Fiktion gewordendie bald wieder zur Non-Fiktion wird!

Die Dokumentarfilmreihe hat in Locarno den Blick auf neue Schnittstellen von Fiktion und Wirklichkeit gerichtet, dorthin wo unser Verständnis der Wirklichkeit der Fiktion bedarf, um uns vor Augen zu führen, was wir täglich sehen. Dabei liegt das Gesehene oft verblüffend weit weg vom Geschauten: Gesehen haben wir alle schon einen Sozialhilfe-Empfänger wie in «The Unplacables». Aber haben wir hingeschaut?

Dies eben können Dokumentarfilme auch: Uns Natur und Menschen sehen lassen, die wir sonst nicht anschauen. Banker huschen täglich an uns vorbei, ohne dass wir sehen wollen, was die da so treiben. Wie aber könnten wir genauer hinschauen? In der «Semaine de la Critique» waren von der Welt eben so viel Machtwissen, Kunstsinn und reichlich Menschenbilder zu sehen, wie in der weltgewandten Spielfilmszene auf der Piazza nebenan. Vielleicht sogar mehr.

Vier Beispiele etwas ausfühlicher: 

Marc Bauder hilft uns, dem «Master of the Universe» zuzuhören.

«Master of the Universe»: Rainer Voss vor den zukünftigen Turmruinen der Macht

«Master of the Universe»: Rainer Voss vor den zukünftigen Turmruinen der Macht

Die Türme der Macht sind fast durchsichtig. Besonders nachts wirken die Büros geradezu fahrlässig einsehbar. Der Lift ins vierzigste Sockwerk ist aus Glas. Trotzdem ist undurchschaubar, was hinter dem Glas der Machtzentralen der Finanzindustrie vorgeht. Marc Bauders Film «Master of  the Universe» gewährt einen erschreckend erhellenden Einblick – in den Betrachtungen eines ehemaligen Players.

Was für einen Sinn macht es, für 22 Sekunden Besitzer einer Aktie zu sein?

Marc Bauder hat lange gesucht. Per Inserat in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» hat er einen Insider gebeten, aus der Zentrale der Macht zu berichten. So hat er Rainer Voss gefunden. In einem leer stehenden Büroturm traf er den ehemaligen Bankmanager. Rainer Voss.

Das Geld wurde als Tauschmittel erfunden. Jetzt ist es ein Mittel der Umverteilung

Voss skizziert eine mathematische Gleichung zu einem Franken/Yen-Swap auf eine Glasfront. Er redet über Finanzströme wie ein Fischer über Jagdgründe. Er legt dar, warum es längst nicht mehr nur die Entscheidungen an der Pyramidenspitze der Finanzkonzerne sind, die die Schäden verursachen. Es schildert die Welt der Trader an der Basis. Je nach Limit, je nach Fähigkeit, dieses Limit zu umgehen, bewegen sie grösserer Summen an einem Tag, als eine ganze Stadt während ihres Lebens.

Sein Blick streift dabei, den Horizont in der Ferne. Verstellt wird er nur durch die Machttürme der Finanzkonzerne. Deutscher Bank, Commerzbank und Co. mitten in der europäischen Machtzentrale des Geldes.

Wo bleibt der Sinn für eine Investition von 22 Sekunden?

Voss verblüfft mit Offenheit. Und mit klaren Vergleichen. Selten habe ich den Irrsinn der Börsenspekulationen besser zusammengefasst gesehen, als in diesen Zahlen: «Nach dem Krieg betrug die durchschittliche Besitzdauer an einer Aktie noch vier Jahre. Wer sich an einem Unternehmen beteiligen wollte, hielt also ein Papier durchschnittlich vier Jahre in seinem Depot. Der Aktionär verfolgte die Geschäftstätigkeit, kannte die Strategie und hielt das Papier auch bei einer absehbar kurzfristigen Baisse an der Börse. Heute liegt die durchschnittliche Besitzdauer an einer Aktie bei 22 Sekunden!»

Niemand kann voraussagen, was geschieht, wenn niemand mehr versteht, was geschieht.

Bald wird klar, dass Voss nichts zu verbergen hat. Nein, nicht einmal etwas zu verstecken bemüht er sich. Im Gegenteil: Verstehen möchte er. «Ein Einzelner kann den Steuerbericht des Deutschen-Bank-Konzerns gar nicht mehr kapieren. Es können da nur noch ganze Kanzleien etwas dazu sagen, und, meist ohne die Garantie, dass sie sich nicht irren».

Voss erzählt mit ruhiger Stimme, fast heiter. Er weiss, was er sagen darf. Manchmal, wenn er zu weit geht, bricht er von selber ab: «Nein. Das sage ich nur off the record. Schalt mal die Kamera da aus». Dann folgen ein paar schwarze Sekunden auf der Leinwand, die uns das sagen, was wir gewohnt sind: Dass uns vorenthalten wird, was uns vorenthalten wird.

An der Börse können Sie auf alles wetten, auch auf den Zusammenbruch

Voss ist kein Verzweifelter. Er hat in seinem Leben gut Kohle gemacht. Voss ist auch kein Verbitterter. Er hat aufgehört, bevor er seinen gesunden Menschenverstand verloren hätte. Voss ist aber auch kein Gewinner. Er bleibt beredt, auch wenn er den bevorstehenden Zusammenbruch skizziert. Nach Griechenland, Portugal und Spanien könnte es Frankreich sein. Frankreich. Dann heisst es «Rien ne va plus !». «Kein Plan B?» «Nein. Diese Banken hier haben einen Plan B für den  Fall, dass eine Atombombe einschlägt. Aber nicht für den Fall, dass diese Kreditkonstrukte aller einbrechen.» Aber das scheint Rainer Voss nicht von seinen klaren Gedankengängen abzuhalten.

Nur einmal verstummt Rainer Voss. Als es um seine Familie geht. Da schüttelt er nur seinen Kopf. Da werden seine Sätze kürzer. Sein Atem flacher. Die Gedanken schweifen ab. Nein. Darüber reden will er nicht, sagt er, und sein Blick verliert sich in der Baustelle nebenan. Seit sechs Jahren baut die Europäische Zentralbank da ihren Turm. Je nachdem, wie sich die Dinge entwickeln, könnte er schon leer stehen, ehe er eröffnet sein wird.


Andreas Horvath «Earths Golden Playground»

«Earth's Golden Playground», Andreas Horvath

«Earth’s Golden Playground», Andreas Horvath

Der Österreichische Dokumentarfilmer Andreas Horvath hat keine Mühen gescheut. Im Permafrost der kanadischen Klondike rast er mit uns auf dem Hundeschlitten durch die Schneewüste. Dort, wo wir in «Fargo» einem schrillen Thrillerteam bei den Ermittlungen folgten, ist Horvath dem Glück auf der Spur. In einer Goldgräberhütte. Drin ist das Leben eng. Draussen liegt Eis, wohin das Auge reicht, und Gold, wo kein Auge es sieht.

Horvath führt uns tief in die Wildnis. Männer waschen dort Kies (es gibt viel davon). Männer graben dort Löcher in den Boden. Männer suchen dort das Glück. Weibliche Exemplare des Homo Sapiens sind bei dieser Plackerei selten anzutreffen. Eine papierene Titel-Nackedei eines «Penthouse»  – mehr Weiblichkeit ist nicht in der Hütte. Auf dem Goldgräberamt, beantwortet mal eine Sekretärin kurz ein Frage. Und im Casino sind drei Tänzerinnen, die ein hübsches Step-Tänzchen klappern, auf Durchreise. It’s a Mans World in «Earths Golden Playground».

Während schrullige Einzelgänger in dieser frauenlosen Welt dort oben monatelang für ein Goldstäublein im Boden buddeln, wühlen auch mal Kerle mit Baggern im Dreck. Ein Gramm Gold holt die Mining Company aus einer Tonne Erdreich. Wer reich werden will, muss da schon Berge versetzen. Am Ende des Sommers ist ein ganzes Tal umgegraben. Wo vorher Wald war, ist dann Wüste. Immerhin ist danach der Aushub von Männerhand gründlich gewaschen.

Unfassbar langwierige Schuftereien werden da vor unseren Augen vollbracht. Horvath schafft mit seinen langen Natureinstellungen vom goldenen Männerwinter eine Art Suspense-Dispens. Wer von Thrillern gewohnt ist, dass ihm eine Verfolgungsjagd in die Knochen fährt, dem geht es hier ähnlich: Die Strapazen dieser Männer wirken umso kräfteraubender, je sinnloser sie scheinen. Am Ende schaut immerhin ein «Hämpfeli» Goldstaub heraus.

Wohin die monatelanger Schufterei den Mann dann führt, sehen wir auch – ans andere Ende dieser Welt, in die Arme seiner Gattin. Auch eine Art «Earths Golden Playground» eben. 

Rene A. Hazekamp: Der Rapper der  «The Unplacables»

«De Onplaatsbaren» René A. Hazekamp

«De Onplaatsbaren» René A. Hazekamp

Alkis. Junkies. Assis. Schlucker. Drücker. Im Hafen von Rotterdam. Der Holländische Dokumentarfilmer Rene A. Hazekamp hat sie besucht: Jene, die niemand mehr will, ausser vielleicht noch die städtische Müllabfuhr oder die Heilsarmee. Jene, die selber clean werden wollen, räumen jetzt den Müll weg, den andere achtlos fallen lassen: Sie arbeiten als Müllpicker. Es ist ihr letzter Job. Für alles andere gelten sie als unvermittelbar. Am Rande der Gesellschaft rackern sie sich jetzt ab, in der schmalen Hoffnung, einst in die Karrierehamsterräder der Gesellschaft zurückzukehren.

Hazekamp hört diesen Müllschluckern zu. Sie reden von Traumwelten. Sie verniedlichen ihre Vergangenheit. Es dauert eine Weile, bis wir uns in die Monologe dieser Menschen gehört haben, die wie in kunstvollen postdramatischen Textflächen ihre Misere umkreisen. Sie schlucken heimlich und jeder von ihnen kommt einmal pro Tag ganz unten an. Fünf Euro verdienen sie pro Tag.

Erst als der Alki, der als Stones-Double gerade noch durchginge, am Ende des Films unter gutbürgerlichen Jugendlichen in einem Bibelkreis sitzt, wird uns klar, wie vertraut wir mit ihm schon geworden sind: Die Jugendlichen starren ihn an, als wäre er aus einer anderen  Welt. Kopfschüttelnd, kichernd und irritiert, während er als Fleisch gewordener Rock-n-Roller seinen Rap vom Scheitern herunterleiert.

Es sind harte Bilder, die Hazekamp zusammengestellt hat: Sie entwickeln erst in einer geschickten Dramaturgie ihre rauhe Poesie: Manchmal treiben Papierfetzen im rauhen Wind durch die Strassen. Die Männer folgen ihnen, mit nichts als ihren luftigen Müllsäcken, die ihnen noch gebleiben sind. Am Schluss streiten sich sogar die Krähen mit den Möven in der Hafengegend um den Müll.

Da klingt die Klage eines Unvermittelbaren auf dem Nachhauseweg wie ein kunstvoller Rap: Trocken rhythmisisert. Knapp auf den Punk gebracht. Mitleidlos fasst er zusammen, wie er seinen Bruder verloren hat, von seiner Braut verlassen wurde, was das für ein Gefühl ist, wenn alles im Leben schief gegangen ist. Derartige Lamenti müsste jeden Rapper hellhörig machen. Bloss: Die «Unplacables»  sprechen von «Scheiss-Wirklichkeit», ohne am Hinterausgang von einer Stretch-Limousine erwartet zu werden.

«Big Men» das schwarze Gold ist nicht das Gold der Schwarzen

«Big Men» von Rachel Boynton

«Big Men» von Rachel Boynton

Rachel Boyton ist in «Big Men» nicht nur dabei, wie der Reichtum an schwarzem Gold in Ghana die Schwarzen in die Armut treibt. Sie ist in Afrika und New York an den Orten, wo diese schreiende Ungerechtigkeit ihren Ursprung hat, unterwegs. Dabei setzt die Filmemacherin aus all den Begegnungen ihre Bilder zu einer Kriminal-Geschichte zusammen.

Ghana ist bereits einer der grössten Gold-Produzenten Afrikas. Der Reichtum der Goldförderung hat den Lebensstandard der Bevölkerung in den letzten zwei Jahrzehnten nicht verbessert, sondern dramatisch verschlechtert. Als im Jahr 2007 bekannt wurde, das vor Ghanas Küsten auch schwarzes Gold gefunden worden war, zog das nicht nur Menschen ins Land, die in Afrika hungrige  Kinder füttern wollten. Der grösse Ölkonzern der Welt, Exxon, war rasch zur Stelle.

«Nennen Sie mir ein Land, das frei von Gier ist. Alle sind gierig. Aber gieriger sind immer die anderen».  Milton Freeman (US-Amerikanischer Ökonom) 

«Wo Öl gefunden wird, finden sich immer Menschen, die daran mitverdienen wollen», sagt der Bürgermeister in einer kleinen Stadt im Landesinneren. «Je grösser der Kuchen, desto mehr wollen ihr Stück davon». Wer aber kriegt nun das beste Stück?  Rachel Boynton baut aus ihren Bildern einen kleinen Krimi. Wir sind dabei, wie  die Rollen besetzt, die Beute verteilt und die Verlierer gemacht werden. Wir  nehmen Teil an der Hektik der Ausbeutung. An den Entscheidungen und Irrtümern.

«Big Men» stellt die Lebensgesetze der Einheimischen Ghanesen den Gesetzen der amerikanischen Geschäftswelt gegenüber. Verständlich, dass die  Filmerin letzlich mehr Zeit in den Teppichetagen verbracht hat, als im Ölschlick der afrikanischen Industriewüsten. Trotzdem machen ihre Bilder klar, dass der Reichtum all der Ölförderung nicht in Afrika geblieben ist.

Alles fliesst nach unten, nur das Geld fliesst nach oben

Erst nach jahrelangen Verhandlungen, aus denen der grösste Öl-Player der Welt, Exxon, sich zurückziehen muss, finden die Ghanesen eine Übereinkunft mit einem kleinen Ölförderer: Von den ersten zwei Milliarden Dollar Gewinn aus Ölgewinnung im Jahr, blieben eben noch 444 Millionen im Land. Noch ist kein Dollar davon im Bildungssystem angekommen. Der Aktienwert des Ölkonzerns Kosmos Industries hingegen ist an der New Yorker Börse in der Zwischenzeit bei 8 Milliarden Dollar.

Es macht den Film zu mehr als einer blossen Dokumentation, dass Boynton sich nicht scheut, ganz unten an der Wertschöpfungskette fragen zu stellen, auf die sie auch ganz oben keine Antwort kriegt. Wie rasch das Finanz-Karussel sich um das goldene Kalb in auch Afrika dreht, musste Rachel Boynton am eigenen Leibe erfahren: Als sie für ein Interview in Ghana ihre Kamera aufstellte, fanden sich innert weniger Minuten unzählige Menschen auf der Strasse ein, die auch an den Filmaufnahmen mitverdienen wollten.

 

 

 

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