«Locke» – Ein Vater rast durch die Nacht

Ein Film mit nur einem Schauspieler! Wie soll das denn gehen? Mit einem cleveren Drehbuchautor und einem unwiderstehlichen Schauspieler. Parforce-Ritt eines Schauspielers: Tom Hardy «Locke» ist ein Sonderfall: Nicht nur sehen wir in dem Film die ganze Zeit nur einen Schauspieler – Tom Hardy. Er fährt auch nur Auto! Es braucht also einen gestanden Dramatiker, […]

Parforce-Ritt eines Schauspielers: Tom Hardy

Ein Film mit nur einem Schauspieler! Wie soll das denn gehen? Mit einem cleveren Drehbuchautor und einem unwiderstehlichen Schauspieler.

Parforce-Ritt eines Schauspielers: Tom Hardy

Parforce-Ritt eines Schauspielers: Tom Hardy

«Locke» ist ein Sonderfall: Nicht nur sehen wir in dem Film die ganze Zeit nur einen Schauspieler – Tom Hardy. Er fährt auch nur Auto! Es braucht also einen gestanden Dramatiker, Literaten und Drehbuchautoren, um uns die Zeit kurz werden zu lassen. Das ist der Regisseur Steven Knight. Er schreibt nicht nur Romane und Theaterstücke und Drehbücher. Er inszeniert mit «Locke» auch seinen zweiten Film. Grossartig einfach: Ein Mann rast durch die Nacht.

Ivan Locke hat viele Dinge am Laufen, als er in sein Auto steigt. Dringendes scheint ihn am Ziel seiner Nachtreise zu erwarten. Dringliches lässt er auch zurück: Was wie eine ruhige Fahrt in die Nach beginnt, entpuppt sich aber als bald als spannende Entscheidungssuche.

Als Kind konnten wir solches in jedem Zirkus bewundern. Jongleure, die auf spitzen Ruten wild drehende Teller balancierten, bis zu zehn Stück oder elf oder zwölf – wobei jeder Teller immer wieder von Neuem beschleunigt werden musste, damit er nicht herunterfiel, damit die Fliehkraft weiter über die Schwerkraft siegen konnte, solange ein Teller immer wieder von Neuem gedreht wurde – eben dies versucht nun Locke.

Ein Mann greift durch

Erst sagt er seinem Sohn das Abendessen ab. Seinen Assistenten konfrontiert er mit der Aussicht, dass er morgen alleine mit der grössten Baustelle zurechtkommen muss. Er überlässt auch seine Frau sich selbst. Den anderen Sohn muss er vertrösten: Das Fussballspiel wird er alleine schauen müssen. Bei seinem Chef riskiert er die Kündigung. Wer so viel absagt wie Locke, hat Wichtiges vor.

Eine Frau ist verzweifelt.

«Burnout» ist nicht das richtige Wort für das, was Locke nun durchmacht. Während die Welt an ihm vorbeigleitet, rast er ungebremst auf den «Overkill» zu. Ein schlingernder Teller nach dem anderen scheint ihm zu entgleiten. Frau, Kindsmutter, Arzt, Sohn, Assistent, Chef, alle präsentieren sich auf ihrem Teller und wollen hoch gehalten werden. Auf der Baustelle geht alles schief. Der Assistent ist betrunken. Zu Hause wendet sich die Frau von ihm ab. Lockes Leben läuft aus dem Ruder. Er fährt unbeirrt weiter.

Kinder, Beruf, Erziehung, Familie, Ausbildung, Ferien, Hobby, Freunde. Jeder Teller will bewegt sein. Kein Teller darf zum Stillstand kommen. Es ist diese einfache Versuchsanordnung, die den Film so eindrücklich macht. Schliesslich gipfelt die Fahrt in die Nacht in der Entscheidung eines Lebens.

Obwohl der Film vor unseren Augen in einem Hörspiel mit nur einem Bild abläuft, entwickelt er einen unwiderstehlichen emotionalen und letztlich höchst literarischen Sog. Wenn der Sohn Locke – ganz zum Schluss – das erzielte Tor seines Fussballteams fast etwas kitschig schildert, wortreich, als wäre den ganzen Abend lang nichts geschehen, trifft eine weitere Metapher ins Schwarze.

Das Drehbuch ist der Kern des Erfolgs

Tom Hardy hält als Einzelmaske dabei den ganzen Spannungsbogen am Leben. Aber auch Knight ist filmisch in Hochform. Mit oft nur ahnbaren Veränderungen im Motorengeräusch, mit kleinen Erschütterungen im Bild, mit vorbeisausenden Blaulichtern, mit verschwimmenden Rücklichtern treibt er uns von einer Erwartung zur anderen.

Knight schafft nicht nur als Drehbuchautor eine wuchtigen Spannungsbogen. Er spielt auch als Regisseur eine spannende literarische Klaviatur mit einer einfachen Bildmetaphern. Während Locke das Fundament für die grösste Baustelle vorbereitet (Beton C6), damit das Haus darauf sicher stehen wird, kämpft er verzweifelt um das Fundament seiner Liebe. Dabei ist Tom Hardy ein Meisterstück an reduziertem Spiel gelungen. Empirisch, wie sein Namensvetter John Locke, rast er im Chaos seiner letzten Entscheidung entgegen.

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