Los Amantes Pasajeros

Flugzeugabstürze geniessen zu Unrecht einen schlechten Ruf: Meist geht 10 000 Meter lang alles ganz gut. Erst die letzten 10 Meter werden dann etwas krass. Pedro Alamdovar schaut auf die ganze Distanz. Flugzeugabstürze geniessen zu Unrecht einen schlechten Ruf. Meist verläuft die ersten 10 000 Meteralles alles ganz gut. Erst die letzten 10 Meter erweisen […]

Flugzeugabstürze geniessen zu Unrecht einen schlechten Ruf: Meist geht 10 000 Meter lang alles ganz gut. Erst die letzten 10 Meter werden dann etwas krass. Pedro Alamdovar schaut auf die ganze Distanz.

Flugzeugabstürze geniessen zu Unrecht einen schlechten Ruf. Meist verläuft die ersten 10 000 Meteralles alles ganz gut. Erst die letzten 10 Meter erweisen sich meist als problematisch.

Almadovàrs Wirklichkeit der Wirklichkeit

Pedro Almadòvar warnt uns gleich zu Beginn: Mit Wirklichkeit hat «Los Amantes Pasajeros» nichts zu tun. Wer hätte das von einem Film auch erwarten wollen? Wenn die Crew ihren Fluggästen nicht verraten will, dass eine Bruchlandung bevorsteht, ja, die Passagiere gar mit Beruhigungsmitteln einschläfert, damit niemand merkt, dass man nicht unterwegs nach Mexico ist, sondern über dem Flughafen von La Mancha kreist, der nicht fertiggestellt wurde, weil Geld in die Taschen von Politikern verschwand – hat das mit Wirklichkeit nichts zu tun? Nein. Die gibt es nicht in diesem schrill-kitschigen Wiederschein der virtuellen Hochglanzwelt.

Alamdòvar liefert verspielt-trashig eine Satire auf eine Gesellschaft, die die Bodenhaftung verloren hat. Damit die Economy-Klasse nicht aufbegehrt, hat die Crew sie kurzerhand betäubt. Während die Männer im Cockpit um ihre sexuelle Identität ringen, reichen die Stewards, drei ziemlich durchgeknallte Lebemänner, häppchenweise Wahrheit: Es geht bergab! Anstatt in Panik auszubrechen, schmeisst man für die Business-Class eine letzte Runde.

Almadovàr lässt es krachen

Was auf Flughöhe unter den Abgehobenen an sexuellen Eskapaden passiert, lässt Alamdòvar mit einem kleinen Geniegriff öffentlich werden. Das einzige Telefon, das noch Kontakt mit dem Boden garantiert, quäkt die intimen Details der oberen Klasse folgenlos über den Bordlautsprecher: Die Economy-Klasse verschläft auch dies. Das macht den Absturz in der Business-Class für alle ganz vergnüglich. Bis auf die letzten zehn Meter läuft eigentlich alles ganz rund.

Dann endet, wie die Hellseherin vorausgesagt hat, der Überflug im Crash: Während die Kamera die Spiegelinnenwelt der Flughafen-Bauruine in Hochglanz einfängt, schafft das laute Vibrieren der Detonationen Gewissheit: draussen findet der Absturz statt. In Bildern wie diesen lässt Almadovar seine filmische Klasse aufblitzen.

Während er in einer bedrohlich langsamen Fahrt durch ein leere Flughafengebäude den Crash der spanischen Immobilien-Branche sichtbar macht, kündet sich im Ton der Crash der Menschen an, die wir eben noch im Flugzeug gesehen haben. Es sind solche Augenblicke, mit denen Alamdovar die allgemeine Befindlichkeit in wenige Bilder zusammenfasst: Der ökonomische Niedergang hat längst eingesetzt. Ihn zu sehen erspart er uns. Das Echo seines Widerhalls muss reichen.   

In einer dicken Löschschaumwolke finden sich die Figuren im Diesseits wieder. Auf Wolkenschaum gebettet umarmen die Überlebemänner die Schaumtänzerinnen unter den Heruntergekommenen. Alamdòvar hat seine frühe Frechheit wiedergefunden. In der Tat warnt er uns mit Recht: das bunte Treiben hat mit der Wirklichkeit mehr zu tun, als uns lieb ist.

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