Der Torhüter Elvis Merzlikins von Spengler-Cup-Teilnehmer HC Lugano ist in jeder Beziehung unverwechselbar. Der 22-jährige Lette exponiert sich mehr als die meisten übrigen NLA-Goalies.
Im Interview mit der Nachrichtenagentur sda spricht Merzlikins über seine spezielle Fangkunst und erklärt, weshalb er nur schwer von seiner Linie abzubringen ist. Das erfrischend forsche Talent eckt an und hält mit deutlichen Statements nicht zurück.
Manche Goalies sagen von sich, sie würden dem Team die Chance offerieren, ein Spiel zu gewinnen. Ist das wirklich so?
«Der Torhüter ist exponiert – und ja, er kann Partien entscheiden, auf beide Seiten. Unsere Rolle ist nicht einfach. Wir stehen im Zentrum, wir müssen 60 Minuten oder länger bereit sein, es gibt keine Auszeiten. Als Goalie darf man sich nie gehen lassen. Verliert man die Konzentration, sind die Konsequenzen unter Umständen gravierend.»
Exponiert und extrovertiert, ein Spieler mit extremen Emotionen und grosser Passion – so nimmt man Sie von aussen wahr. Definieren Sie sich ähnlich?
«Ich widerspreche nicht. Meine Emotionen, meine Gestik gehören zu mir. Ich baue auf diese Weise Spannung auf. Mir ist es in den letzten Jahren zunehmend besser gelungen, die negativen Aspekte meiner emotionalen Seite zu kontrollieren. Und ja, mir macht es Spass, Tore mit schönen Paraden zu verhindern – das ist mein Stil, so funktioniere ich.»
Standen Sie sich zu Beginn Ihrer Laufbahn teilweise selber im Weg, weil Sie Ihre Energie nicht kanalisieren konnten? Roger Federer beispielsweise zertrümmerte in seiner Jugend auch den einen oder anderen Schläger.
«Ich zerstörte früher einige Stöcke und liess alle an meiner Wut teilhaben. Irgendwann habe ich begriffen, so womöglich nicht allzu weit zu kommen. Bei den Profis lernte ich, schlechte Erlebnisse richtig einzuordnen. Federer ist für mich ein perfektes Beispiel. Negative Schwingungen sind bei ihm auf dem Platz praktisch nie zu sehen.»
Welchen Anteil hat Patrick Fischer an Ihrer Entwicklung? Er gab Ihnen die Chance, in Lugano die Nummer 1 zu werden.
«Er war immer sehr ehrlich mit mir. Bestraft oder angeschrien hat mich Fischer nie, aber er gab mir zu verstehen, wie ich mich auf dem Eis unter Druck zu verhalten habe. Seine Inputs schätzte ich sehr, er half mir, den richtigen Weg einzuschlagen, vorwärtszukommen, die ersten Schritte im Profi-Geschäft zu machen. Ich bin ihm überaus dankbar.»
Wer prägte Sie am meisten?
«Es wäre falsch, alles auf eine Person zu reduzieren. Alle Coaches haben mich animiert. Fischer, die Junioren-Trainer oder auch Doug Shedden. Er führte uns in der letzten Saison in den Final.»
Nochmals zurück zu Ihrem Stil. Sie haben eine unverwechselbare Komponente. Auf was führen Sie das gewisse Extra zurück?
«Es ist ziemlich simpel: Die Liebe zum Spiel. Es gibt in meinem Leben nichts Wichtigeres als Eishockey. Ich liebe es, jeden Tag aufs Eis zu gehen. Das Geld ist für mich zweitrangig, die Leidenschaft steht über allem. Seit ich ein kleines Kind war, hat mich dieser Sport unheimlich fasziniert. Meine Mutter löste meine Hausaufgaben, damit ich zweimal pro Tag trainieren konnte. Ich wollte schon bei den Junioren der Beste sein.»
Langjährige Lugano-Insider sagen, Sie hätten schon früh keine Mühe bekundet, Ihre Standpunkte gegenüber Vorgesetzten klar darzulegen.
«Die Wahrheit geht immer vor. Da bin ich ziemlich unzimperlich. Ich bin kein Schmeichler. Für mich war es tatsächlich nie ein Problem, jemandem deutlich zu sagen, was ich von ihm halte. Und ja, es ist vielleicht schwierig, mit mir zu streiten, weil ich selten von meiner Linie abweiche.»
Das klingt schwierig.
«Ich verstelle mich nicht und habe wenige echte Freunde, weil ich nicht mag, wenn man mir etwas vorspielt. Für mich gibt es Leute, die zu viel mitreden, aber kaum je die Wahrheit sagen.»
Viel geredet wird auch über Ihre Zukunft. Wann sind Sie bereit für die NHL?
«Ich habe vor, auch in den nächsten drei Jahren in Lugano zu spielen. In dieser Zeit will ich mindestens einen Titel gewinnen. Dann will ich zu 100 Prozent bereit sein, meinen NHL-Traum zu verwirklichen. Mir fehlt noch einiges, weitere Fortschritte und Erfahrungen sind nötig.»
In der Liga tut sich der HC Lugano seit Monaten schwer, der Spengler Cup soll eine Auflockerung sein. Bauen Sie hier primär Frust ab?
«Glücklich ist angesichts der komplexen Situation niemand in Lugano. Aber für mich persönlich ist es auch eine Chance, mit einer heiklen Lage fertig zu werden. Ich will mit dem Druck umgehen können und zusammen mit dem Rest der Bianconeri-Familie einen Ausweg aus dem Tief zu finden.»