Am Dienstagabend hat auf der Piazza Grande der mit Spannung erwartete Film «L’expérience Blocher» von Jean-Stéphane Bron Uraufführung gefeiert: Das bewusst subjektiv gehaltene und psychologisierende Porträt zeigt auch die verletzlichen Seiten des Machtmenschen. Blocher selbst war im Publikum.
Der Zufall ist dem Regisseur dabei als Hilfsdramaturg zur Seite gestanden: Kernstück des Films ist Blochers Wahlkampfreise 2011, bei der ihn der Regisseur im Auto begleitet. Die Promo-Tour verläuft hoffnungsfroh, endet aber für Blocher überraschend mit einem Verlust an Stimmanteilen seiner Partei.
Eingestreut in diese ersten, optimistischen Sequenzen sind Archivbilder, die den spektakulären Werdegang vom Sohn eines armen Pfarrers zum Milliardär und Volksführer nachzeichnet – eher konventionell, wie man das von TV-Dokumentarfilmen gewohnt ist.
Neu ist die Annäherung des Regisseurs mit Ansprachen aus dem Off. Deshalb heisst der Film auch «L’expérience Blocher» – Blocher, nicht wie er ist, sondern wie er nach Brons Erfahrung sein könnte. «Je vous invente», sagt er mehrmals und mutmasst im Stil von historischen Romanen, was wohl in dem Porträtierten zu bestimmten Zeiten vorgegangen sei.
Das ist gelegentlich sogar von bestechender Logik, etwa wenn Bron annimmt, Blocher habe im Verlauf seiner Karriere einfach seine Kindheit vervollkommnet: Einst konnte er trotz Landwirtschaftslehre nicht Bauer werden, weil er keinen Hof hatte – nun hat er einen und dazu sogar ein Schloss.
Und einst schnitt sein Vater Ankerbildli aus Kalendern – heute besitzt der Sohn die weltweit grösste Privatsammlung mit Werken dieses Malers.
Gesicht als leere Projektionsfläche
Doch nach der Schilderung des Aufstiegs deutet sich ein Sinkflug an: Die Wahlschlappe 2011 ist nicht der einzige Rückschlag in diesen Monaten.
Anfang Dezember deutet Blocher Bron – wieder im Auto – an, dass er etwas erfahren habe, aus dem er «eine wunderbare Übung» machen werde – und kichert dazu wie ein Lausbub, der weiss, dass gleich ein Briefkasten explodiert.
Doch der Volkstribun wird aus der «Affäre Hildebrand» nicht unbeschadet hervorgehen. Nach der Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität und der Eröffnung eines Strafverfahrens fängt Bron noch nachdenklichere Szenen ein als nach dem Wahltag – kein Vergleich zum stets auch gestisch ausladenden Kampfwillen, etwa nach der Abwahl aus dem Bundesrat 2007.
Stattdessen minutenlang Blocher stumm mit leerem Blick – ein selten gesehenes Bild, von Bron inszeniert unter anderem im leeren Nationalratssaal. Ob der Abgebildete dabei niedergeschlagen ist, ob er überhaupt etwas empfindet, bleibt der Imagination des Zuschauers überlassen, der sich seine eigene «Expérience Blocher» zusammenreimen kann.
Nachhaltig infiziert
Er habe den gewieften Rhetor und Showman «deprogrammieren» wollen, sagte Bron in Locarno vor den Medien: Er wollte den Politiker in Situationen bringen, in denen er nicht auf eingespielte Verhaltensweisen zurückgreifen konnte.
Das ist dem Regisseur teilweise auch gelungen – in den stummen Szenen wirkt der Porträtierte ungewohnt verletzlich. Stören tut es ihn offenbar nicht: Laut Bron hat Blocher keine einzige Einsprache erhoben und den Film anstandslos durchgewinkt.
Dass der Regisseur eine Beisshemmung entwickelt haben könnte, scheint nicht der Fall, zu hinterlistig tönt einer der Schlussätze: Die SVP habe zwar Stimmen verloren, aber Christoph Blocher habe zweifellos die Schweizer Politik nachhaltig «contaminé», und das sei doch auch ein Sieg.