Essen darf mehr kosten, auch wenn etwas weniger drin ist.
Eine leichte Mathematikaufgabe ist etwas Schönes, weil sie den meisten Menschen ein Erfolgserlebnis schenkt. Leichtes Gepäck ist auch gut, so bekommt man keine Zerrung in der Schulter. Und ein leichter Schönheitsfehler ist auch kein Drama. Meistens ist Letzteres sogar ein Hinweis darauf, dass ein Produkt natürlich hergestellt wurde.
Mit leichtem Essen verhält es sich schwieriger. Gegen einen Salat oder ein paar Schnitze Melone mit Schinken an heissen Tagen hat niemand etwas einzuwenden. Aber wenn eigentlich schwere, fettige, gehaltvolle Nahrungsmittel plötzlich leicht sein sollen, damit man kein schlechtes Gewissen haben muss, wenn man sie sich einverleibt, ist die Grenze erreicht. Manche Sachen sind einfach schwarz oder weiss: Halbfettmargarine ist keine Butter und löslicher Kaffee kein Espresso aus frisch gemahlenen Bohnen.
«Echt» oder «light»?
Auch die Nahrungsaufnahme gestaltet sich schwieriger, wenn man erst einmal zu rechnen begonnen hat: Soll man eine kleine Tüte «echter» Chips essen oder eine grosse Packung «light»? Oder die halbe Packung und dafür noch ein bisschen fettreduzierten Käse draufpacken? Man könnte natürlich auch alle Produkte in die leichtere Version umwandeln und auf die anderen ein «plus» schreiben, um so der Käuferschaft aufzuzeigen, dass sie sich damit etwas gönnt.
Wenigstens sieht man bei Light-Produkten sehr schön, wie gross die Macht der Worte ist: Mit dem richtigen Namen kommt man an Kunden, die sogar mehr dafür bezahlen, dass etwas fehlt. «50 Prozent weniger Schuhe als in herkömmlichen Schachteln» würde hingegen niemanden an die Kasse locken.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 05.07.13