Die japanische Comicfigur «Hello Kitty» stillt das Niedlichkeitsbedürfnis – das könnte für die Menschheit gefährlich werden.
Damit Menschen und Tiere ihre Nachkommen gut behandeln, hat die Natur das Kindchenschema erfunden: Kindliche Proportionen wie eine hohe Stirn, grosse Augen und eine kleine Nase wecken unsere Beschützerinstinkte.
So hat es auch die Comic-Katze «Hello Kitty» mit dickem Kopf, Knopfaugen und Knopfnase geschafft, eines der berühmtesten Tiere weltweit zu werden: neben Spielzeug, Kleidung, Schmuck, Geschirr und Süssigkeiten hat sie sogar eine eigene Airline. Und all das hat die Katze bekommen, weil sie so süss ist – Gender-Menschen stehen ob der Mieze die Haare zu Berge, gleich Barbie ist sie etwas, das nicht alle kleinen Mädchen haben dürfen. (Ob Jungen auch wollen, aber sich nicht zu fragen trauen, ist nicht bekannt.)
Erwachsene Frauen kaufen sich die Sachen einfach selbst – zum Teil vielleicht als Trotzreaktion auf frühere elterliche Verweigerung, als das Sackgeld noch nicht für einen «Hello Kitty»-Bademantel reichte, hauptsächlich aber, weil ihnen das niedliche Tier gefällt, egal ob sie 7 oder 37 sind.
Nun stellt sich die Frage, ob der Geburtenrückgang in westlichen Gesellschaften der japanischen Katze anzulasten ist (sie ist übrigens fast 40 Jahre alt, müsste die biologische Uhr also auch schon ticken hören), da Frauen ihr Niedlichkeitsbedürfnis nun über «Kitty» stillen, anstatt Babys zu bekommen.
Andererseits wäre ein Kind ja ein guter Grund, noch viel mehr «Hello Kitty»-Dinge zu kaufen: Ein glänzender Luftballon etwa sprengt das Verständnis der meisten Menschen, was infantilen Geschmack angeht. Mit einem Alibi-Kind an der Hand ist das kein Problem.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 22.02.13