Die angespannte Lage in Israel führt zu gegenseitigem – ungewolltem – Misstrauen und entfernt Israelis und Palästinenser immer mehr voneinander, obschon es gerade jetzt wichtig wäre, aufeinander zuzugehen.
Einige junge Araber kommen mir entgegen und ich wechsle die Strassenseite. Alleine gehe ich nur noch selten und mit einem unguten Gefühl aus dem Haus. Im Bus setze ich mich jetzt – nachdem ich sie zuvor gemieden habe – in die Nähe der bewaffneten israelischen Soldaten.
Man weiss ja nie.
Einzelne Palästinenser, oftmals aus Ost–Jerusalem, machen sich in den vergangenen Wochen beinahe täglich mit einem Messer auf den Weg, um willkürlich Israelis niederzustechen – zunächst waren es vor allem religiöse Juden und Soldaten, mittlerweile kann es jeden überall treffen.
Die israelischen Sicherheitskräfte antworten darauf mit Schüssen, die zumeist zum Tod der Attentäter führen. Mittlerweile wurde der Bau einer neuen Mauer um Ost–Jerusalem angefangen und – zum Glück – wieder gestoppt; Strassenblockaden werden errichtet, die kritischen Punkte in der Stadt – deren es viele gibt – werden durch schwerbewaffnete Soldaten besetzt.
Etwas beschämt muss ich zugeben, dass Dinge, die mich in der Schweiz empört hätten – wie die Idee einer neuen Mauer oder die Strassenblockaden – mich zwar auch hier nicht kalt lassen – doch ein bisschen Zustimmung oder wenigstens Erleichterung mischen sich hinein, da es bei diesen Massnahmen ja auch um meine eigene Sicherheit geht. Und einmal mehr wird deutlich, wie einfach es sich urteilen lässt, wenn man nicht selbst in und mit der Situation leben muss.
Etwas beschämt muss ich zugeben, dass sich Dinge, die mich in der Schweiz empört hätten, hier mit Zustimmung und Erleichterung mischen.
Die Strassen sind mehrheitlich leer, einige Touristen finden sich immer; die Cafés und Bars klagen über Umsatzeinbussen, Altstadt und öffentliche Verkehrsmittel werden gemieden. Denn: Man weiss ja nie.
Dieses Misstrauen ist nach der Angst das schlimmste Gefühl, vielleicht auch das verhängnisvollste: Es entfernt die beiden Völker, Israelis und Palästinenser, noch mehr voneinander. Dies in einer Zeit, in welcher es umso wichtiger wäre, das Verständnis und die Bereitschaft zum Frieden untereinander zu fördern – wenn es schon die Politiker nicht schaffen, so müssten sich wenigstens die Menschen beider Völker die Hände reichen. Doch wie geht man aufeinander zu, wenn man nicht weiss, ob das Gegenüber im nächsten Augenblick ein Messer zücken wird?
Nach den Ursachen fragen, anstatt die Symptome zu bekämpfen
Wie ein israelischer Minister kürzlich verlauten liess, sollen die palästinensischen Terroristen «wissen, dass sie bei einem Anschlag erschossen werden».
Doch wer sind diese Terroristen überhaupt?
Die meisten Attentäter waren bisher auffällig junge Männer und Frauen – der Jüngste gerade einmal 13, im Durchschnitt sind sie um die 20 Jahre alt. Sie bei einem tatsächlichen oder versuchten Angriff bedingungslos zu erschiessen – es steht mir nicht zu, die Frage nach richtig oder falsch dieser Vorgehensweise zu beantworten.
Wovon ich aber überzeugt bin, ist dies: Dass die Drohung jenes israelischen Ministers und die danach gestaltete Realität nicht abschreckend wirkt auf diese jungen Menschen, die glauben, nichts zu verlieren zu haben. Nicht einmal ihr eigenes Leben. Sie zu erschiessen bedeutet lediglich, die Symptome einer schon Jahrzehnte währenden Krankheit zu bekämpfen – nicht aber deren Ursache. Denn danach müssten sich die Politiker und Entscheidungsträger jetzt fragen – weshalb ist so viel Hass und Verzweiflung vorhanden in dieser Generation, dass ihnen nicht einmal ihr eigenes Leben mehr etwas wert ist?
Gewalt als Antwort auf Gewalt mag eine scheinbare, kurzfristige Lösung sein und ist doch nicht mehr als Abschreckung – bis zum nächsten Ausbruch. Und mit jedem weiteren Anschlag, mit jedem getöten Israeli oder Palästinenser verankert sich dieser Satz: «Man weiss ja nie» mehr und mehr in den Köpfen der Menschen, die hier leben.
Und mit jedem weiteren Anschlag, mit jedem getöten Israeli oder Palästinenser verankert sich dieser Satz: «Man weiss ja nie.»
Und das Misstrauen, das mit diesem Satz Hand in Hand geht, ist bei mir und vielen meiner Freunde hier vor allem eines: ungewollt.
Wir wollen nicht Angst haben vor einem Araber, der uns auf der Strasse entgegenkommt und mit 99,9 Prozent Wahrscheinlichkeit ein friedfertiger Mensch wie wir ist. Wir wollen uns frei bewegen können, ohne jeden anderen Passanten als einen Terroristen zu verdächtigen und in jeder, für einen Augenblick unbeaufsichtigten Tasche eine Bombe zu vermuten.
Wir wollen nicht auf Schritt und Tritt schwer bewaffneten Soldaten begegnen, die Gewehre im Anschlag, und auf sie und ihren Schutz angewiesen sein. Wir sind es müde, dass die Menschlichkeit auf beiden Seiten zu etwas Seltenem geworden zu sein scheint und vor allem Gedanken des Hasses, der Zerstörung und der Rache vorherrschen.
Doch auch in diesen scheinbar so dunklen Wochen gibt es hin und wieder einen Lichtblick, wenn man nur die Augen offen hält: Vor wenigen Tagen sah ich an einer Strassensperre zu einem arabischen Viertel einen israelischen Soldaten mit einem arabischen Teenager scherzen und ihm von seinem Wasser anbieten.
Noch immer wird eine ausgestreckte Hand manchmal angenommen und die Hoffnung auf Frieden und Gemeinsamkeit überwiegt das Misstrauen.