Mani matters!

Am 24. November 2012 jährt sich der Todestag von Mani Matter zum 40. Mal. Wie sehr der Berner Troubadour uns doch fehlt – und wie gross seine kleinen Lieder waren! Einige Erinnerungen, angereichert mit Texten, Klängen und Bildern. Es ist ein trauriger Jahrestag. Am Freitag, 24. November 1972, verliess Hans-Peter Matter, Doktor der Jurisprudenz, sein […]

«Mani Matters»: Ein Street-Art-Künstler hat auf einer Berner Autobahnbrücke dem Troubadour ein Denkmal gesetzt.

Am 24. November 2012 jährt sich der Todestag von Mani Matter zum 40. Mal. Wie sehr der Berner Troubadour uns doch fehlt – und wie gross seine kleinen Lieder waren! Einige Erinnerungen, angereichert mit Texten, Klängen und Bildern.

Es ist ein trauriger Jahrestag. Am Freitag, 24. November 1972, verliess Hans-Peter Matter, Doktor der Jurisprudenz, sein Büro in Bern. Der Rechtskonsulent tauschte die Aktentasche gegen die akustische Gitarre, stieg in sein Auto und fuhr los. Im Schloss Kabarett Rapperswil erwartete man ihn an diesem Abend, allerdings nicht Hans-Peter, den Juristen. Sondern Mani, den Troubadour. Jenen Mundartsänger, der selbstgeschriebene «Lumpeliedli und Balladen» zum Besten gab und damit die Leute begeisterte. Doch in Rapperswil kam er nie an. Bei einem Überholmanöver kollidierte der 36-Jährige mit einem Lastwagen und verlor dabei sein Leben. 

Das Historische Museum Bern widmet ihm derzeit eine multimediale Ausstellung, die noch bis zum 13. Januar zu erleben ist. Auch wir möchten an Mani Matter erinnern. Denn wenn Urs Hofer, den sie in der Pfadi Polo nannten, der Vater des Mundartrock ist, dann ist Hans-Peter Matter, den die Pfadfinder zum Mani machten, der Godfather. Der Schweizer Troubadour, der Mundartmusik auch ausserhalb der Folklore populär machte, den jede Generation aufs Neue für sich entdeckt – dank seiner hintersinnigen, witzigen Texte. Texte, die zeitlos sind, so zeitlos wie die Cabaretnummern von Emil Steinberger. Jener Emil war es übrigens, der Mani Matter 1971 dazu ermutigte, ein abendfüllendes Soloprogramm zusammen zu stellen. Wir präsentieren 7 Lieder, die nicht mehr aus dem Kanon der Schweizer Musik wegzudenken sind.

1. Eskimo 

Einer von Mani Matters grössten Klassikern ist zugleich einer der kürzesten: Keine Minute dauert die Ballade des Eskimo, der in Grönland einst so traurig um sein Leben kam, weil er sich dem Cembalo-Spiel voller Hingabe widmete und nicht mitkriegte, dass sich ein Eisbär in seine Höhle schlich. «Kunscht isch gäng es Risiko», kommentierte Mani Matter den tödlichen Ausgang seiner Geschichte. Die Kunsthalle Luzern präsentierte 2008 unter diesem Titel eine Gruppenausstellung. Roger Levy stellte in seinem Einführungstext die Frage, ob der Eskimo sterben musste, weil er das Unmögliche wagte: «radikale Autonomie (durch Kunst), ohne Absicherung, ohne Bedenken, ohne Gedanken an ein Risiko zu leben? Stellt er eine Gefahr dar, weil er keine Angst kennt, oder gefährdet er sich selber, weil er die Risiken seines Handelns, den prekären Handlungsraum des Künstlers unterschätzt? Wieso nennt Matter den tragischen Helden überhaupt Künstler?» Gute Fragen. Die Antworten nahm Matter mit ins Grab.

2. Ir Ysebahn

Wer noch nicht überzeugt ist, dass Mani Matter mehr als nur ein «Värslischmied» war, sondern ein wahrer Poet mit Witz und Grips: Hier ist der doppelbödige Beweis.

3. Dr Sidi Abdel Assar vo El Hama 

Bis heute ein Klassiker in Kindergärten und Primarschulen: Mein Sohn etwa lernte Mani Matter nicht bei einer Entdeckungsreise durch meine Plattensammlung kennen. Sondern dank dem Singunterricht im Basler Gotthelfschulhaus. An dieser Stelle: vielen Dank, Herr Feddema und Frau Mollet! Die Inspiration für «Dr Sidi Abdel Assar vo El Hama», erklärt Mani Matter in dieser Live-Aufnahme, holte er sich übrigens bei einem Urlaub in Tunesien. Daraus entstand ein Lied, das heute noch amüsiert. Und ihn von einer weit weniger melancholischen Seite zeigt als etwa dieses hier, mit denen Kinder erst richtig etwas anfangen können, wenn sie grösser geworden sind.

4. Dynamit

Hintersinnig beschreibt Mani Matter in diesem Lied, wie er en passant sieht, dass ein Wutbürger das Bundeshaus in die Luft sprengen möchte (man stelle sich einen Gerhard-Blocher-Typ vor). Mani Matter geht auf ihn zu, redet eindringlich auf den frustrierten Mann ein, ruft ihm die Vorzüge unserer Demokratie in Erinnerung, um ihn vom Gewaltakt abzuhalten:

D Angscht het mis Rednertalänt la entfalte, chüel het dr Wind um üs gwäit i dr Nacht
wärent ig ihm ä Ouguschtred ha ghalte, das es es Ross patriotisch hätt gmacht
z letscht hei däm Maa mini Wort so berückt
dass er ä Träne im Oug het verdrückt

Schliesslich kann er den frustrierten Bürger umstimmen und unseren Staat retten. Doch beschleichen ihn später selber Zweifel an seiner patriotischen Rede: Hat er die Vorzüge der Schweiz schöngeredet, unseren Staat besser gemacht, als er in Tat und Wahrheit ist? Ein wunderbarer Twist, ein wunderbarer Text. 

 

Züri West begann als eine der ersten Mundartrock-Bands, Mani Matter zu covern (nämlich schon 1987, lange bevor der erfolgreiche Sampler Matter-Rock angedacht war) und verewigte auf dem Album «Sport und Musik» eine eigene Version dieses Stücks, im düsteren Klangkleid und schweren 6/8-Takt. Übrigens: Als wir Kuno Lauener heuer fragten, was er Mani Matter sagen würde, wenn er ihm begegnen würde, meinte er träf: «Schniid dä Schnouz nid ab!»

5. I han es Zundhölzli azündt

In «Si hei dr Wilhälm Täll ufgfüert» führt Mani Matter herrlich bildhaft vor Ohren, wie während einer Dorftheateraufführung auf dem Lande ein Tumult ausbricht (das Lied ist hier zu hören in einer Aufnahme aus dem Kursaal Bern, 1970) und wie sich die Leute prügeln. Der eindrücklichste Kettenreaktions-Text von Mani Matter, auch der am stärksten politisch konnotierte, ist für mich aber «I han es Zundhölzli azündt». Ein Worst-Case-Szenario, bewusst überzeichnet, aber – wenn wir ehrlich sind – dabei doch erschreckend nah an der Realität, wie ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt. Manchmal braucht es wenig und aus einer Mücke wird ein Elefant, aus einer Unachtsamkeit eine Katastrophe – oder gar ein Krieg.

6. D’Ballade vom Hugo Sanders

Bleiben wir noch kurz politisch. Kollege Loser räumt Daniel Stolz, der für Basel-Stadt in den Nationalrat eingezogen ist, Chancen ein, in Bern ernst genommen zu werden. Warum? Wegen der leisen und konzilianten Art. Daniel Stolz schert nicht aus, politisiert konsensorientiert, eckt nicht an. Anders als der Sanders also. Mani Matter sang ein Lied über Hugo Sanders, der ins Parlament eingezogen war und alles anders machen wollte, als die anderen. Der fiktive Bundespolitiker werkelt darin so lange an seiner grossen Rede herum, dass darüber seine Amtszeit abläuft. Statt alles anders zu machen, erkennt Sanders, dass es nichts bringen würde, wenn er mit dem Kopf durch die Wand schlüge. Alles anders, alles Sanders – oder doch nicht? Das Lied, ganz auf dieses Wortspiel ausgerichtet, endet mit einer Warnung und zugleich Ernüchterung: «Macheds anders als de Sanders, nämlich macheds anders wirds nid anders».

7. Hemmige

Ein grosses Beispiel dafür, wie sehr Mani Matter Schweizer Musikschaffende beeinflusst hat: Stephan Eichers Version von «Hemmige». Wie der international erfolgreichste Schweizer Chansonnier einmal DRS 3 erzählte, hatten ihn Züri West auf die Idee gebracht, das Lumpeliedli zu adaptieren. Was ihm brillant gelang, verwandelte Eicher doch «Hemmige» in eine herrliche Gipsy-Nummer, brillant begleitet von Pino Palladino am Bass und Manu Katché am Schlagzeug. Eicher packte das Cover auf sein Album «Engelberg» und koppelte es als Single aus. Damit schaffte er es gar in die Top-30 der französischen Charts!

Ich erinnere mich noch lebhaft daran, wie ich 1992 einer «Soirée dansante» in Marseille beiwohnte – und der DJ plötzlich «Hemmige» auflegte. Hühnerhaut beim Schweizer Gast, gefolgt von Nationalstolz und grosser Verwunderung: Da sangen die Franzosen doch tatsächlich lauthals mit – voller Inbrunst und voll unverständlich (weil Berndeutsch). Auch wenn sie kein Wort verstanden: Sie liebten das Lied. Das tun sie übrigens heute noch, wie diese verwackelte Amateuraufnahme von einem Eicher-Konzert in Paris aus diesem Jahr unterstreicht. Mani dürfte stolz sein, dass es seine Texte nach Frankreich geschafft haben.

Nicht nur hörenswert, auch sehenswert ist Eichers Interpretation, wie der Videoclip vor Augen führt. 

Wer nach dieser Liste noch nicht genug hat von Mani Matter (was ich völlig nachvollziehen kann): Anlässlich des 20. Todestages moderierte Franz Hohler eine Hommage im Fernsehen. Der musiklastige Film «Warum syt Dir so truurig» kann im Videoportal von SF angeschaut werden. Ein Lob auf die Digitalisierung, eine Verbeugung Richtung Leutschenbach! Und ein Gruss Richtung Himmel. Danke, Mani. Wichtig, dass es Dich gab!

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