Im Industriegebiet zwischen Pistoia und Prato macht das Spazieren keinen Spass. Ich suche den schnelsstmöglichen Weg nach Florenz und erschrecke über die Touristen-Massen. Nachts flattern Zehntausend-Lire-Scheine herunter.
Gerädert stehe ich auf, habe etwa fünf Mal kalt geduscht. Der Portier entschuldigt sich wegen dem Lärm – macht er das jeden Morgen? Trinke Kaffee in der Stadt. Montagmorgen – die Leute gucken mürrisch drein, auch hier in der Toskana. Nichts vom sonnigen südlichen Gemüt.
Die Wanderung schliesst nahtlos an die Nacht an. Nichts von Idylle, nur Hitze, Autolärm. Manchmal Fabriklärm. Autos, die vorbeirasen. Manchmal finde ich ein eine Wegstrecke abseits des Lärms – nein, so macht das keinen Spass und bis Florenz wird es wohl immer schlimmer. Eigentlich muss ich ja niemandem etwas beweisen, und ein Masochist bin ich auch nicht. In Prato werde ich in den Zug steigen.
Stehe zwanzig Minuten vor Abfahrt nach Florenz fürs Billet an, vor mir ein Kunde mit irgendeinem Problem. Es lässt sich auch nach einer Viertelstunde nicht lösen, die Schlange ist lang und man gibt uns Zeichen, dass der Schalter bald geschlossen werde. Am anderen Schalter steht die Kundin auch seit einer Viertelstunde und diskutiert. Die Wartenden verlieren die Geduld, gehen aufs Perron, der Zug hat fünf Minuten Verspätung, in Wirklichkeit sind es zwanzig Minuten, und ein Kondukteur kommt auf der Strecke nach Florenz ohnehin nicht. Aber alles hat für alle sehr viel Energie und Ärger gekostet, und am Schluss sind sie doch alle in Florenz. Ohne Billet.
Immer im Gespräch
Eine Frau im Zug erzählt, dass zur Zeit ganz Florenz umgebaut werde, man komme nirgends hin. Im Winter habe die Stadt begonnen, eine Schnellbahn auf Schienen zu bauen, ich müsse mich auf etwas gefasst machen. Dann gibt sie mir noch einen Tipp für ein gutes und billiges Hotel. In Italien sitzt man höchstens zehn Minuten schweigend neben jemand anderem. Und hat man noch so viele Zeitungen und Bücher dabei, irgendwann beginnt man sich zu wundern, wer und was der Vis-à-vis sei, und das Gespräch beginnt.
Florenz ist heiss, Florenz ist Kultur, Millionen von Japanern und Touristen suchen nach dieser Kultur und schwitzen. Ich schlage mich durch, finde ein hübsches Hotel – nicht das empfohlene – und lege mich zu einem Schläfchen nieder. Dann ein erster Bummel. Die meisten Läden noch geschlossen, die Bars auch, ein Markt erstreckt sich durch die Gassen.
Army-Look
Und da fällt mir etwas Seltsames auf, was ich zwar ein bisschen schon in Frankreich, auch in der Schweiz gesehen habe und mich bereits in Parma wunderte: Da bestelle ich bei einer Italienerin ein Glas Wein, sie serviert es mir und zwar im schnittig knappen Rock – in einem Mini aus Armeestoff! Ihre Kollegin trägt ebenfalls Armee-Look. Draussen promenieren Gigolos in Armee-Hosen. Andere tragen diese scheussliche Vierfrucht-Pracht als Leibchen. Junge Eltern haben den Kids Armee-Stoff über die Pampers gestülpt. In einem Schaufenster sah ich Militär-Unterwäsche. Und auf dem Markt bietet jeder dritte Stand Armee-Textilien an. Was ist das? Ein Trend, eine italienische Marotte oder zieht diese Mode in der Aufrüstung zum Kampf gegen die Achse des Bösen auf der ganzen Welt ein?
Ich stehe unvermittelt vor dem Dom und auch wenn die Schlange, die sich vor dem Eingang hinzieht, sehr lang ist: Ich stehe an, inmitten von Amerikanern, Franzosen und Japanern und warte, bis ich eintreten kann. Die Menschen verlieren sich im Dom, aber trotzdem kommt mir in den Sinn, wie vergleichsweise leer dieser Raum war in der Zeit, als ich vor fünfundzwanzig Jahren hier drei Monate bei einem Sprachkurs verbrachte.
Zünde zwei Kerzen an im Dom, frage mich, was Moni wohl jetzt gerade macht, und da fällt mir ein, dass ich Name und Strasse des Hotels vergessen habe. Ein Schreck. Tappe Strasse für Strasse zurück, finde es per Zufall, lege mich zu einen Schläfchen nieder, gehe abends nochmals durch die Strassen, nehme fassungslos die Massen zur Kenntnis, komme mir etwas allein vor.
In der Nacht kämpfe ich gegen den Lärm der Klimaanlage. Je ruhiger es draussen wird, desto stärker dröhnt sie. Ich stehe auf, suche nach einem Schalter, nach einem Sicherungskasten, nach irgendwas, wo es einen Knopf oder Schalter hat, um den Lärm abzustellen. Nichts. Nichts. Ich schaue hinter die aufgehängten Bilder, und als ich das eine hebe, flattern drei Zehntausend-Lire-Scheine herunter. Na gut, die mögen einige Zeit dahinter versteckt gewesen sein.
(Florenz, 5. August 2002)